Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten
Autoren: Michael Theurillat
Vom Netzwerk:
als er ein paar aufmunternde Worte hinterherschicken wollte, wegen Salvisbergs Rückfall (der wievielte eigentlich?), da stand plötzlich Rosa im Zimmer und machte hektische Gesten. Dazu bewegte sie die Lippen.
    »Ich muss, Kurt«, sagte Eschenbach. Dann legte er auf.
    »Die Klinik ist auf der anderen Leitung. Lenz.«
    Wieder nahm der Kommissar den Hörer. »Ewald?«
    Es knackte zweimal, dann spielte ein Streichquartett.
    Eschenbach wartete. Sein Körper vibrierte leicht. Er spürte, wie seine Füße kalt geworden waren. Nicht nur der linke.
    »Hallo?« Eine Stimme meldete sich. Es war nicht Lenz.
    Eschenbach erkannte die Stimme der Schwester, die ihn am Morgen geweckt hatte. »Herr Lenz will Sie sprechen. Es geht ihm nicht gut. Sie müssen sich kurz fassen.«
    »Klar.«
    Dann erklang ein leises, kaum hörbares Krächzen am anderen Ende. Und ein Schlucken.
    Der Kommissar hielt den Atem an. »Bist du’s Ewald?«
    »Mhm … Seerosen, im Teich«, flüsterte Lenz.
    »Schon gut«, sagte Eschenbach. »Ich kümmere mich darum. Schon deine Kräfte … mein, Gott. Werd bitte gesund …«
    Als er eine Weile nichts hörte; nur langes, schwaches Schnaufen, setzte der Kommissar alles auf eine Karte: »Die Akte, Ewald. Weißt du, wo sie ist? Hast du sie?« Banges Warten. Eschenbach presste den Hörer an sein Ohr. Er wusste nicht, ob es sein eigener Atem war, oder jener von Lenz, den er vernahm. »Ewald?«
    Flüstern erklang. Aber es war die Stimme der Schwester, die im Hintergrund leise mit jemandem sprach.
    Stille.
    »Es geht nicht mehr«, sagte nun laut und deutlich eine Männerstimme. »Krähenbühl, ich bin der Stationsarzt. Wir können das Gespräch nicht weiterführen. Müssen abwarten … und hoffen.«
    Eschenbach nickte stumm.
    Der Arzt legte auf.

9
    U m die Mittagszeit hatte es zu regnen begonnen.
    Es waren keine Fluten, die aus den Wolken stürzten; auch war es kein Gewitter. Weder schüttete es, noch prasselte der Regen auf die Straßen. Man musste ganz genau hinsehen, wenn man den feinen Niesel erkennen wollte. Völlig anders war es, wenn man im Freien stand. Dort spürte jeder die Nässe sofort, die sich unauffällig und grau aus dem tiefverhangenen Himmel löste. Sie kroch in jede Öffnung.
    »Der Wetterbericht ist schlecht«, sagte der Kommissar. Mit einem Müllsack um den Gipsfuß (der Rechte steckte in einem Gummistiefel) stand er in einer braunen Pfütze auf matschigem Grund; in der Hand einen großen Pickel. Neben ihm war Jagmetti mit einer Schaufel.
    Wenn Lenz zu Hause gewesen wäre und zum Wohnzimmerfenster hinaus in seinen Garten geschaut hätte; er hätte die beiden Männer nicht wiedererkannt, die in seinem Garten gruben: Nur die Oberkörper, von der Brust an aufwärts, waren überhaupt zu sehen. Die Köpfe steckten unter grellgelben Fischermützen – Lenz hätte sicher gelacht.
    »Graben wir überhaupt an der richtigen Stelle?«, schnaufte Jagmetti.
    »Ich glaube schon.«
    »Glaubst du nur, oder weißt du es auch?« Jagmetti stützte sich auf den Griff seiner Schaufel und sah Eschenbach an.
    »Ich weiß es«, sagte der Kommissar gepresst. »Wir könnenvon Glück reden, dass noch nicht mehr Wasser drin ist. Die nächsten Tage wird’s garstig. Ich hab’s im Radio gehört. Sintflutartige Regenfälle … wir müssen uns sputen.«
    Der Bündner betrachtete das Riesenloch, das ungefähr dreißig Quadratmeter Grundfläche maß. »Bist du sicher, dass er kein Olympia-Schwimmbecken baut?«
    »Seerosen«, keuchte Eschenbach, der wieder mit dem Pickel in den Matsch schlug. »Es sind Seerosen, Claudio … er spricht von nichts anderem mehr.«
    Seit über zwei Stunden suchten die beiden Polizisten den aufgeweichten Grund des Seerosenteichs ab. Ohne Erfolg. Ihre Gesichter glänzten, und der Rhythmus ihrer Bewegungen war langsamer geworden.
    Nur der Regen legte zu.
    Die Plastikfolie, die die Gärtner ins Erdreich des Teichbodens eingezogen hatten, um ein Absickern des Wassers zu verhindern, war von Eschenbachs Pickel hundertfach durchlöchert worden; und Claudio redete schon seit zwanzig Minuten vom Aufhören.
    Auch beim Kommissar ließen die Kräfte nach. »Dann hör doch auf«, bellte er. »Hol uns wenigstens etwas zum Essen.«
    Mürrisch steckte Claudio seine Schaufel in den Morast und verließ die Grube.
    Eschenbach hieb weiter seinen Pickel in die breiige Erde. Er begann zu zählen. Wie bei einem Countdown. »Zehn, neun, acht …« Und als er bei null angelangt war, fing er neu an: »Zwanzig,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher