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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Autoren: Dirk Stermann
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der Schleifmühlgasse. Ich kannte noch niemanden, und obwohl mir Hartmut nicht sonderlich sympathisch war, willigte ich ein. Er ließ mich im Uni-Buffet seine Wurstsemmel bezahlen, und wir verabredeten uns für den Abend. Er roch nicht besonders gut, schien sich aber hier auszukennen. Das schadet nicht, so jemanden zu kennen, dachte ich, fremd in der Stadt, wie ich war.
    Die Tür ging auf. »’n Abend. Möchtest du auch einen Gespritzten trinken?«, begrüßte Hartmut mich und war sichtlich stolz, dass er sich im Gegensatz zu mir trinktechnisch heimisch fühlte.
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich.
    »Weißweinschorle«, erklärte er.
    »Nee, dann lieber nicht bespritzt.«
    »Gespritzt.«
    »Nee, eben nicht. Lieber nur Wein. Ich mag es nicht, wenn Wein nassgespritzt wird«, erwiderte ich und beobachtete Hartmut, wie er zur Bar ging. Dann blickte ich mich um. Solche Wohnungen hatte ich bisher nur in französischen Filmen gesehen. Die Räume hatten sicher vier Meter hohe Decken, und es schien, als wäre der Stuck zusätzlich stuckiert worden. Eine Art Doppelstuck. Es gab zwölf Zimmer, alle mit riesigen Flügeltüren.
    »Wow, sind wir hier beim Kaiser von Österreich?«, fragte ich ein rothaariges Mädchen, das auf meine Frage aber nicht einging, sondern sich weiter mit einer verschlafen wirkenden blonden Frau unterhielt, die neben mir eine carokaffeefarbene Brühe trank. »Was ist denn das?«, fragte ich die Blonde leicht angewidert. Die Rothaarige wandte sich mir zu. »Cola-Rot«, antwortete sie – immerhin wurde sie jetzt gesprächig. »Roter mit Cola. Ein Bauerngetränk.« Warum sie es denn dann trinke, so als Nichtbäuerin, fragte ich. »Cola-Rot ist was für Gscherte, weißt du«, erklärte sie.
    Ich meinte, »gescheit« verstanden zu haben, und fragte deshalb: »Aha, also ab einem bestimmten IQ, oder wie?«
    »Was? Bist du angschütt?«, fragte sie, musterte mich kurz und abschätzig und wandte sich dann ab. Ich überprüfte mich. Nein, ich hatte mich nicht angeschüttet.
    Ich war fast froh, als Hartmut endlich mit dem Wein zurückkam. Er hatte sich einen Rotwein mit Cola gemischt, wie er mir erklärte. »Das trinkt man hier. Cola-Rot, musste dir merken.«
    »Kenn ich schon«, antwortete ich. »Davon wird man klug.«
    »Gschert, nicht gscheit!«, rief die Rothaarige, die sich erneut zu mir umdrehte. »Gschert, geschoren, die Haare ab, wie Knechte am Hof. So sagt man zur Landbevölkerung. Cola-Rot trinken Leute aus St. Pölten, wenn sie in die große Stadt kommen, direkt von ihrem Bauernhof. Alles klar?« Sie wandte sich wieder ab.
    »Danke für die Erklärung«, sagte ich und blickte gemeinsam mit Hartmut traurig auf sein Provinzgetränk.
    »Sag mal, was ist das eigentlich für eine Party? Flick?« Ich hatte, noch in Deutschland, beim Zahnarzt gelesen, dass Herr Flick zusammen mit seinen Milliarden nach Österreich gegangen war. So wie ich. Nur eben mit Milliarden.
    »Nee, das ist ’ne WG. Die wohnen hier zu zehnt. Die Wohnungen sind hier spottbillig. Paul, was zahlt ihr hier?«
    Ein schlanker Typ mit Woody-Allen-Brille, aber etwa dreimal so groß wie sein berühmter Brillenfreund, drehte sich zu uns. Er sprach so langsam, dass ich dachte, seine Antwort in Superzeitlupe zu hören. »Eh gschissen viel. Jeder von uns zahlt im Monat fast 350 Schilling«, schleppte sich der Zwei-Meter-Hüne durch die zwei kurzen Sätze.
    »Das sind ja nur fünfzig Mark!« In Düsseldorf hatte ich für eine Vierzehn-Quadratmeter-Wohnung in Bilk fast 500 Mark bezahlt. Mit Klo am Gang.
    »Friedenszins«, slomote Paul.
    Was sollte das sein? Bekam man hier Zinsen auf seine Miete, aber nur, wenn man friedlich drin wohnte?
    Es handelte sich hierbei um eine Art festgeschriebene Altmiethöhe und hieß, man bezahlte 1988 für eine Wohnung nicht mehr als zum Beispiel 1948. Das erfuhr ich aber erst später, als ich mir selber für ein paar Schilling mehr eine Wohnung in der Papagenogasse mietete, einer Sackgasse gleich neben dem Theater an der Wien. Wenn ich mein Fenster öffnete, hörte ich immer irgendein Lied aus Cats , das damals dort gespielt wurde. Und hinter den Fenstern des Theaters sah man am Abend die armen Musicalmenschen in ihren albernen Katzenkostümen. Musik wie Katzenpest. Nur Pantomime war schlimmer als Musical. Ausdruckstanz vielleicht auch. Ich hatte irgendwo gehört, dass die Mullahs im Iran Verbrecher vor die Wahl stellen: Hand ab oder Cats ansehen, und die meisten entschieden sich für Hand ab,
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