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Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)

Titel: Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
Autoren: Dirk Stermann
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stumpfen Messer in verschieden große Teile. Die Wurst hielt sie mit einer hölzernen Wurstzange fest.
    »A gschissen. Mir geht’s richtig gschissen.«
    Ich sah mir meinen Nachbarn am Würstelstand an. Er sah aus wie der polnische General Jaruzelski, er trug auch diese Brille mit den bernsteinfarbenen Gläsern. Er tat mir leid, gut, er war in Erwartung einer Burenwurst, aber die schien nicht die Lösung seines Problems zu sein.
    Er torkelte. Sofort fragte Frau Resch: »Noch a Bier?«
    Er nickte und hielt sich an einem Teller voller Senf fest, der auf dem Vorbau des Würstelstands von einem Vorgänger abgestellt worden war.
    »Herrgott, is des gschissen«, rief er und versuchte sich die Hände an der Außenfassade des Würstelstands abzuwischen, was bei Metall gar nicht so leicht ist. »Was is’n des für eine Scheiße«, brüllte er und schlug mit seiner senfigen Faust gegen das Fenster.
    Mit einer einzigen Bewegung schnappte Frau Resch mit der hölzernen Wurstzange nach der Nase des Jaruzelski-Doubles.
    »Sans deppert? Das tut doch weh«, schrie er, während sie ihm geübt die Nase verbog und an ihr zog.
    »Da wird nichts am Stadl abgewischt!«, sagte sie ganz ruhig und bestimmt und hakte nach: »Und – was wird hier nicht?«
    »Lassens meine Nase los! Hörens sofort auf, so zu ziehen – Sie reißen mir die Nase ab!«
    »Was wird hier nicht?«, wiederholte sie, wie eine sehr geduldige Lehrerin.
    »Da wird nix abgewischt an dem gschissenen Würstelstand«, knurrte er.
    »Wie bitte?«
    »Da wird nichts abgewischt an Ihrem Würstelstand!«, brüllte Jaruzelski in die Wiener Nacht.
    Sie ließ seine Nase los und schnitt seelenruhig die vor ihr liegende Wurst weiter auf.
    »Ein Ottakringer?«, fragte sie, wieder ganz Geschäftsfrau.
    Jaruzelski nickte und wischte sich die senfigen Finger an einer beleuchteten Werbetafel ab, auf der dafür geworben wurde, den Kot seines Hundes mithilfe schwarzer Plastiktüten von der Straße zu entsorgen: Nimm ein Sackerl für mein Gackerl . Unter der Schrift prangte nun der Abdruck einer Hand aus Senf.
    Jaruzelski zahlte und torkelte in Richtung Faulmanngasse. Ich sah noch, wie er mit dem Kopf gegen die Markise des Pferdefleischhauers lief. Wahrscheinlich kann man durch Bernstein nur schemenhaft sehen.
    »Dem geht’s aber wirklich gschissen«, sagte ich zaghaft zu Frau Resch. Tatsächlich sagte ich »gschissn« und nicht »geschissen« beziehungsweise »beschissen«, weil ich signalisieren wollte, kein Tourist zu sein, auch wenn ich erst seit wenigen Tagen in Wien war. Damit hatte ich mein erstes Prinzip gebrochen: nicht zu versuchen, so zu tun, als wäre ich von hier.
    Gleich am ersten Tag hatte ich einen Kölner kennengelernt, der seit einem Semester in Wien studierte: Hartmut, Erbe eines Spielzeugfachhandels. An der Uni hatte er mich angesprochen, »aus Deutschensolidarität«, wie er mir erklärte. Er wohnte am Getreidemarkt, ganz in meiner Nähe, und drückte mir gleich zur Begrüßung ein peinliches Vokabelheft in die Hand.
    »Hier, kannst du gut gebrauchen. Steht alles drin. Hier!«
    Er öffnete das speckige Heft. »›Paradeiser – Tomate‹. Links steht das österreichische Wort, rechts das richtige.« Er sagte tatsächlich »richtige«. Ich runzelte die Stirn, aber Hartmut fuhr unbeirrt fort: »Also: ›Karfiol – Blumenkohl‹. ›Fisolen – Bohnen‹. ›Pickerl – TÜV‹. Oder hier, auch ganze Sätze: ›Treffen wir uns gleich da.‹ Wir Deutschen gehen dann ›später nach dort drüben‹, stimmt’s? Der Österreicher trifft sich aber ›sofort hier‹. ›Gleich da‹ heißt hier ›sofort hier‹. Sogleich hier. Jetzt an diesem Ort.«
    Er stammelte jetzt ein wenig, offenbar hatte er sich selbst im Sprachdschungel verirrt. Ich erlöste ihn.
    »Hab’s verstanden, Hartmut. Danke. Prima Heft. Dann geb ich’s dir gleich da wieder zurück, wenn’s recht ist. Ich schlag mich schon durch, denk ich. Aber sehr nett, danke.«
    »Und wie heißen Fisolen in Kärnten? Na? Wie nennt der Kärntner die Bohne?«
    »Weiß ich nicht, Hartmut. Ess ich zur Not Möhren als Beilage.«
    »Karotten. Nicht Möhren. Und Erdäpfel, nicht Kartoffeln. Und die Bohnen heißen hier Fisolen, aber in Kärnten Strankalen.«
    »Dann kann mir ja jetzt nichts mehr passieren«, erwiderte ich und ließ Hartmut stehen. Gleich da.
    Doch Hartmut war nicht so leicht abzuschütteln in seiner zwangsbeglückenden teutonischen Solidarität. Schon tags darauf lud er mich auf eine abendliche Party, in
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