Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Scudders Spiel

Scudders Spiel

Titel: Scudders Spiel
Autoren: D.G. Compton
Vom Netzwerk:
Seine Furcht hatte er als einen verständigen, in keiner Weise gefährlichen Reisegenossen mitgenommen.
    Und mit ihr eine neue, weisere Empfindung: Trauer.
    Pete blieb eine Weile an den Zaun gelehnt stehen und starrte hinüber. Nichts blieb. Die heimischen Schilfgräser waren der Wissenschaft zum Opfer gefallen und einer gezüchteten Hybridform des Schilfrohrs gewichen. Die Trauer war vergessen, überlagert. Und auch die Hummerkörbe, die Netze, die Hemden und Hosen, die weiße und blaue Farbe konnten nach siebzehn Jahren nicht dieselben sein. Und die Furcht?
    Auch sie hatte sich verändert. Auf einmal schien es ihm, als ob der Bewohner des Schuppens jeden Augenblick zum Vorschein kommen könnte. Der Gedanke riß Pete aus seiner Erstarrung und veranlaßte ihn, daß er sich rasch umwandte. Er wollte den Mann nicht sehen, wagte es nicht. Er hatte ihn damals nicht gesehen, und so durfte er ihn auch jetzt nicht sehen. Er durfte ihn nicht kennen, sein Gesicht, seine Gestalt, seine ungezwungenen Bewegungen, wie er mit den Füßen stampfte und sich streckte und gähnte und sich anschickte, die Reparatur seines altertümlichen Lastwagens zu beenden. Ein ganzes Leben, gewählt und gelebt, war zuviel, und siebzehn Jahre eine zu lange Zeit.
    Er ging rasch zum Wagen, setzte die Reise fort, ließ seine Furcht zurück und nahm als Reisegefährten nur eine erinnerte Trauer mit.
    Nichts blieb. Er kehrte heim. Zu Vater und Mutter. Einem anderen Heim, einem anderen Vater, einer anderen Mutter. Ein anderer Er. Und jeder trug eine anders erinnerte Trauer in sich herum. Dornen. Dickichte … Die Befreiung würde nicht einfach sein.
    Er hätte natürlich ein Dummkopf sein müssen, wenn er jemals geglaubt hätte, daß es einfach sein würde.
    Er war.
    Ein Dummkopf.
    Aber er kehrte nicht um.
    Die Straße schlängelte sich die Küste entlang, eine Stunde Fahrt, vorbei an Hinweisschildern auf winzige Fischereihäfen, Wintersportgebiete, Touristenmuseen, durch duftende Nadelwälder, vorüber an ausgedehnten Kartoffelfarmen und verlassenen Einkaufszentren. Pete betrachtete ihre verfallenden Reste. Weiter südlich hätte man solche Ruinen beseitigt und weggeräumt, aber wen kümmerte es hier oben, wo es soviel Land und sowenig Leute gab? Jeder Ort hatte von jeher seine Ruine gehabt, oder auch deren zwei, und sie boten einen romantischen, trostreichen Anblick – ausgenommen in jenem verrückten halben Jahrhundert, als man allenthalben gebaut und abgerissen, abgerissen und gebaut hatte. Ein paar Ruinen schadeten niemand. Die Touristen, genug von ihnen, aber nicht mehr als genug, kamen sowieso, und die Einheimischen hatten längst gelernt, nicht hinzusehen. Fleckenlosigkeit war etwas für andere Gegenden, für andere, auffälligere Temperamente.
    Er fand, daß die verfallenden Supermärkte auch ihm nichts ausmachten. Er erinnerte sich an sie von früher. Nicht alle waren damals schon verlassen gewesen; einige hatten noch immer gegen den unerbittlichen Gang der Geschichte angekämpft: mit himmelhohen 3D-Anzeigetafeln und Sonderangeboten, die auf Fesselballons geschrieben waren, und einigen Fernsehstationen. Er zog sie so vor, wie sie jetzt waren, unaufdringlich und still, und war Conrad Huppel dankbar. Die Rettung der Zivilisation war ein langwieriges Geschäft, aber es ließ sich machen.
    Ein drastischer Bevölkerungsrückgang war natürlich die Antwort gewesen. Aber das hatten alle seit mindestens vierzig Jahren gewußt und dennoch nichts dazu getan. Um eine Änderung herbeizuführen, waren drei zusammenwirkende Faktoren erforderlich gewesen. Erstens eine völlig sichere und verläßliche Technik der Empfängnisverhütung. Zweitens, ein starker Anreiz, davon Gebrauch zu machen. Und drittens, der geeignete historische Augenblick.
    Sithel Cordwainer hatte die Technik bereitgestellt: einen Hochfrequenz-Ultraschallsender, der im Umkreis von einem Meter alle Spermien abtötete. Und Conrad Huppel, der Retter der Zivilisation, hatte den Anreiz geliefert: myoelektrische Vorrichtungen, welche die Orgasmus-Reaktionen eines Individuums empfingen und augenblicklich zurückspielten, wobei sie sie verstärkten und, nach der Wahl des Benutzers, eine Vielfalt von ausgedehnten, computererzeugten Überhöhungen aussetzten – angefangen von einem tröpfelnden Mini-Orgasmus, der praktisch unbegrenzt andauerte, bis hin zu einem betäubenden Schocker, der einem in zehn Sekunden das Schädeldach absprengte. Und weil er wahrhaftig der Retter der Zivilisation war, hatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher