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Scudders Spiel

Scudders Spiel

Titel: Scudders Spiel
Autoren: D.G. Compton
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Jacken und Hosen und wählte einen nüchternen Straßenanzug aus. Geräuschlos zog er sich an. Emma, gütiger Himmel, blieb diskret im Bett und tat, als ob sie schliefe. Die Wahrheit, obwohl er sie lieber nicht gesagt hatte, war, daß es ihm lieber gewesen wäre, wenn sie diese Nacht in ihrer eigenen Wohnung verbracht hätte. Er fühlte sich schon so gereizt genug, ohne obendrein ihre taktvolle Unterstützung ertragen zu müssen. So war er auf Zehenspitzen aus dem Schlafzimmer geschlichen und hatte so getan, als wisse er nicht, daß er sie geweckt hatte. Und nun tat sie so, als hätte er es nicht getan.
    Sie waren jetzt schon lange beisammen, annähernd drei Jahre. Er gedachte eine Woche oder so auszubleiben und wußte, daß er sie vermissen würde. Die letzten zwei Huppeltage war sie bei ihren Leuten gewesen, und er hatte sie begleitet, Emmas Eltern wohnten weniger als eine Fahrstunde von der Stadt entfernt. Sie waren großartig. Petes Eltern, auf der anderen Seite, wohnten unten an der Küste, gute vier Stunden Autofahrt entfernt. Und sie waren nicht großartig. Um ehrlich zu sein, als er seine Eltern vor siebzehn Jahren das letzte Mal gesehen hatte, waren sie ihm höchst lästig und verhaßt gewesen. Die ekelhaften alten Scheißer.
    Mit siebzehn Jahren. Wie leichtfertig und frivol das gewesen war – wie abwertend und gleichgültig, diese Wendung. Damals aber hatte er eine durchaus zutreffende Beschreibung darin gesehen. Ihr Verbrechen hatte darin bestanden, daß sie ihn bedingungslos bis zur Besessenheit geliebt hatten, und einander überhaupt nicht. Liebe? Welch törichtes Wort. Man könnte eher sagen, daß sie einander für das Vorrecht, ihn aufzufressen, zu Tode getrampelt hätten.
    Also war er fortgegangen. Und seine Bitterkeit war in Verlegenheit umgeschlagen, und seine Verlegenheit in Schuldgefühle, und er war ihnen ferngeblieben. Nun aber, nach siebzehn Jahren, wollte er zurückkommen. Er beabsichtigte vielleicht eine Woche zu bleiben, lange genug, um sich ein für allemal von ihnen zu lösen und dann seinen Weg weiterzugehen, ein freier Mann.
    Er war ziemlich plötzlich zu der Entscheidung gelangt, erst vor fünf Tagen, und sie hatte, so überraschend es scheinen mochte, nichts mit Emma zu tun. Danach hatte sie ihn allerdings ermutigt. Sie sagte, sie habe lange genug einen Verwandtenverleih betrieben, und es sei höchste Zeit, daß er sich selbst welche zulegte. Und eine Woche Trennung würde ihnen beiden guttun … Nichts davon war ihm sonderlich vorgekommen, aber er blieb bei seinem Entschluß, und dies hauptsächlich wegen der letzten Video-Einblendung seiner Mutter.
    Er mußte es zugeben: sie hatte ihn so weit gebracht, daß er sich sorgte. Was sie gesagt und mehr noch, was sie nicht gesagt hatte, war ihm Anlaß zur Beunruhigung. Er hatte gelernt, mit seinen Schuldgefühlen zu leben, aber echte Sorge um seine Eltern war etwas Neues. Die ekelhaften alten Scheißer … – er war jetzt älter und klüger: hatten sie eine derart gedankenlose Abfuhr wirklich verdient?
    Seine Mutter blendete sich heutzutage ziemlich oft ein, niemals aber sein Vater. Pete hatte längst aufgehört, es zu erwarten.
    Maudie Laznett, stocksteif aufgerichtet für die Kamera, die Hände im Schoß gefaltet (zusammengekrampft?), das Haar so straff zurückgekämmt und zum Knoten gesteckt, daß es schmerzte, in dem vertrauten, mit rotem Samt bezogenen Sessel vor dem vertrauten dunklen Hintergrund aus vornehmer Eichentäfelung und den Kalblederrücken ungelesener Bücher, angetan mit ihrem allerbesten Gespräch-mit-dem-Sohntag-Kleidern. Er kannte es alles auswendig.
    »Warum mußt du denn darauf bestehen, in dieser himmelschreienden Stadt zu bleiben, Junge?«
    Das kannte er auch auswendig, himmelschreiende Stadt, aber es berührte ihn trotzdem angenehm. Ihre Sprachmuster teilte sie mit niemandem. Auch seine Antwort war die immer gleiche. »Es gefällt mir hier. Ich mag die Stadt.«
    Und sie: »Das kannst du nicht. Das kannst du einfach nicht, Junge. Das gibt es gar nicht.«
    Darauf er: »Komm schon, Mutter – wann warst du zuletzt hier? Zwanzig Jahre muß es wohl her sein.«
    »Eher vierzig. Aber Städte verändern sich nicht.«
    »Aber die Leute. Erstens einmal gehen sie fort.«
    »Die mit Verstand tun es. Zurück bleiben nur die Verrückten – verrückt wie du. Gehen durch die leeren Straßen.«
    »Gehen durch die von Gedränge freien Straßen.« Immer wieder machte er sich die Mühe, wußte selbst nicht, warum. »Und wohnen in
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