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Schwingen des Vergessens

Schwingen des Vergessens

Titel: Schwingen des Vergessens
Autoren: Lisa Auer
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jenem Tag vor 4 Jahren zurück drehen, wo sie dann die Geschehnisse verändern könnte. Sinnlose Träume, unerfüllbar.
    Als die Uhr 8:49 zeigte, rappelte das Mädchen sich hoch und marschierte langsam, aber laut polternd, die Treppen runter. Ohne Umschweife betrat sie das Wohnzimmer, das von alten Möbeln nur so überquoll. Ihr Vater hatte eine Vorliebe für Antiquitäten, auch wenn manches einfach nur altes Gerümpel war. Würden ihn diese ganzen Möbel zumindest interessieren, sähe die Sache ja ganz anders aus, aber eigentlich kaufte er sie anscheinend nur, da es ihm Spaß machte, unnötig viel Geld auszugeben. Amelie hatte zwar keine Ahnung, wie lange er dieses ganze uralte Zeug nicht mehr betrachtet hatte, aber auf jeden Fall war es lange her.
    Francesca saß mit dem Rücken zum Eingang auf der braunen, ledernen Couch, deren Farbe bereits etwas vergilbt war, und hatte über die Lehne die Hand herunter hängen, die die von ihrem Ehemann beinahe verzweifelt umklammerte. Anscheinend hatte sie trotz Amelies Gepolter noch nichts mitgekriegt und so setzte sie sich einfach neben ihre Mutter auf das Sofa. Die Frau beäugte sie misstrauisch und es dauerte lange, bis kurz ein Lächeln ihr Gesicht erhellte. Ein paar Augenblicke später sah sie wieder streng drein, Amelie kannte diesen Gesichtsausdruck. Schon so oft hatte sie ihn sehen müssen. Jedes einzelne Mal, wenn Caro ihre Freundinnen mit nach Hause gebracht hatte und Amelie vorgestellt wurde. Immer, wenn sie nur das Thema „Amelie“ streiften, folgten immer misstrauische Blicke. Warum auch immer. Auf jeden Fall schien es immer so, dass sie etwas Schlimmes wüssten, was sie selbst nicht wusste, oder etwas, was sie nicht als schlimm interpretierte. Trotz der Häufigkeit dieser peinlichen Momente, hasste Amelie diese. Auch ihre Mutter fühlte sich sichtlich unwohl, das Verhalten ihrer Tochter war ihr eindeutig peinlich. Mit beinahe zittriger Stimme stellte sie die beiden gegenseitig vor: „Francesca, das ist meine 16-jährige Tochter Amelie, sie wohnt einen Stock weiter oben.“ Amelie spürte ein Stupsen in ihrem Nacken, Karoline wollte wohl, dass sie ganz freundlich „Hallo“ sagen würde. Allerdings hatte sie genau das nicht vor. Warum sollte sie ihrer Mutter etwas Gutes tun, wenn sie selbst das Mädchen immer nur ignorierte und sich rein gar nicht für sie interessierte? Warum sollte Amelie sich Mühe machen, irgendwas für diese Frau zu tun?
    „Hallo und tschüss. Ich bin wieder oben, wenn ihr mich braucht, holt mich nicht.“ Mit diesen Worten rannte sie wieder nach oben. Francesca und ihr Ehemann blickten ihr verdattert hinterher und wechselten einen kurzen, viel sagenden Blick miteinander. Wahrscheinlich so etwas wie, dass die beiden nie so ein Kind wie Caro haben wollten. Amelie selbst schätzte bereits, dass Karoline gerade das Gleiche dachte, aber Pech gehabt. Sie war ihre Tochter und würde es auch bis an ihr Lebensende bleiben. Bevor Amelie oben die Tür zu knallte, hörte sie noch die entschuldigenden Worte ihrer Mutter. Mit einem leisen Seufzer kletterte sie in eine ihrer Nischen und nahm die jetzige Zeichnung zur Hand. Der Untergrund war wie bei allen anderen auch tiefschwarz wie die Nacht. Nun galt es, mit weißen Stiften, Formen und Konturen hinein zu zeichnen. Lächelnd tastete sie in der kleinen Schublade, die rechts neben der Nische ihren Platz gefunden hatte, nach einem weißen Farbstift und begann zu zeichnen. Ihre Mutter betrachtete ihre Bilder als sinnloses Gekritzel und fast im selben Satz fragte sie immer nach, wie es Amelie eigentlich ging oder warum sie solche schrecklichen Figuren zeichnete. Wenn Caro wüsste, was für eine Bedeutung die Bilder hatten, würde sie wahrscheinlich jede freie Minute die Decke betrachten und versuchen, die Geheimnisse ihrer Tochter zu lüften. Leider interessierte sie gerade das Thema „Tochter“ nicht besonders. Manchmal überlegte Amelie, ob es anderen Jugendlichen in ihrem Alter auch so ging, dass die Eltern nur noch nervten und einem nichts Gutes mehr taten. Obwohl man das Wort „nerven“ im Grunde genommen nämlich gar nicht sagen konnte. Schließlich nervte sie nicht, sie kümmerte sich einfach nicht um ihre einzige Tochter. Warum sie das nicht tat, war ihr ein Rätsel, denn eigentlich führte Karoline ein schönes Leben, bis auf die paar Probleme mit Steve und eben mit Amelie selbst. Die Probleme, die ihr ihrer Meinung nach wohl das gesamte Leben zerstörten. Sie wusste es einfach nicht.
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