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Schwingen des Vergessens

Schwingen des Vergessens

Titel: Schwingen des Vergessens
Autoren: Lisa Auer
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undurchdringliche Dunkelheit. Tränen traten in ihre Augen, sie wischte sie ärgerlich weg. Ihrer Meinung nach, hatte sie ohnehin schon zu viel Zeit damit verschwendet, zu weinen, sie musste etwas tun gegen diese Trauer. Seelensplitter sollte ihr helfen, doch das tat es nur selten. Schließlich hatte sie es bis jetzt erst ein paar Mal geschafft, mehr als 20 Seiten auf einmal zu lesen. Immer war das Gefühl der Trauer stärker und zwang sie aufzuhören. Plötzlich ertönte ein lautes Pochen vom Boden. Ihre Mutter schlug unten wohl mit aller Kraft mit dem Besen an die Decke.
    „Wenn's dir Spaß macht“, murmelte sie sarkastisch und drehte die Musik laut auf. Da konnte Karoline sich noch so oft über den Musikgeschmack oder besser gesagt die Lautstärke ihrer Tochter beschweren. Es interessierte sie nicht so wirklich. In Gedanken versunken kramte sie unter der Matratze, wo schon mehrere solcher Bücher lagen, nach dem Tagebuch und schlug es auf der ersten Seite auf. Diesen Text hatte sie vor nicht allzu langer Zeit im Juni geschrieben, nun war es Ende Oktober.

Liebes Tagebuch,
ich weiß nicht, warum manchen Leuten solche Dinge nicht auffallen. Warum sie so blind sind und nicht sehen, wenn es einem schlecht geht. Wenn es mir schlecht geht. Mir wäre es manchmal ja schon wirklich lieber, wenn sie mich einfach ignorieren. Und das, was dann manche machen, ist wirklich das Allerletzte. Das, was zum Beispiel heute passiert ist, ist wirklich nicht mehr normal, finde ich zumindest-
    Natürlich denke ich mir, dass Lucy keinen Funken von Anstand zeigen kann, aber muss sie gleich in meiner Schultasche herum wühlen, um irgendwas Peinliches über mich zu finden? Wenn sie so neidisch ist, auf die Dinge, die ich tue, kann sie mich genauso gut danach fragen. Vielleicht würde ich ihr sogar liebend gerne mein Zimmer mit den schrecklichen Zeichnungen zeigen oder ihr sogar ein Bild schenken… Die Mühe wäre es auf jeden Fall wert, denn ihr Gesichtsausdruck wäre bestimmt einmalig.
    Heute Nacht hab ich bereits zum fünften Mal einen Traum geträumt, ich fühle, dass es derselbe ist wie bei den letzten Malen, aber ich kann mich nur an Bruchstücke erinnern. Vielleicht ist es ein Zeichen, ich kann es nicht sagen. Überhaupt weil ich schlecht im Zeichen deuten bin, das einzige Zeichen, was ich in letzter Zeit sehe, sagt mir, dass ich etwas in meinem Leben unternehmen soll. Aber was? Ich bin mir sicher, wenn ich diesen Tagebucheintrag irgendwann in drei, vier Jahren wieder lese, werde ich darüber lachen, wie ich jetzt lebe. Also, was ich persönlich gerade unter Leben verstehe. Nicht allzu viel, ich lebe halt, aber eigentlich besteht mein Tag besser gesagt nur aus Überleben.
    Aber zurück zu Lucy:                                        
Sie denkt, sie wäre die Hübscheste und die Coolste. Mir gefällt ihr Style nicht so, sie trägt zu viele Farben und ist aus meinen Augen gesehen hässlich. Ihre Haare sind zerzaust, nur Locken, die keinen Sinn ergeben. Sie findet sich zu hübsch, mal zu einer anderen zu sagen, sie sei schön. Wahrscheinlich aus purer Angst, derjenige würde sie irgendwann übertreffen oder eben wieder zum Outsider machen. Schon oft habe ich mir gedacht, wie toll es wäre, ihr einfach mal alles heimzuzahlen, wirklich alles. Wenn ich mich nicht irre, bin ich ihr Lieblingsopfer unter all den anderen Opfern, die sie Tag für Tag fertig machen will. Das Lustige daran ist, dass ich mehr als einen Kopf größer bin, ohne meine High Heels vielleicht nur einen halben, aber trotzdem. Manchmal fange ich sogar zu Lachen an, wenn sie mich von unten herauf anblickt und versucht, mich irgendwie zu verängstigen. Das einzige, was an Lucy wirklich verängstigend ist, ist die Tatsache, dass sie so was von dumm ist, man könnte ihr sogar einen Amoklauf zutrauen oder besser gesagt, in die Schuhe schieben. Trotz ihrer Dummheit schafft sie es allerdings immer wieder, mich nachdenklich zu machen. Egal ob sie wieder einen Angriff in irgendeinem sozialen Netzwerk startet oder doch lieber in der Schule rumrennt und herumschreit, dass ich noch nie einen Freund hatte.
Ich weiß, vielleicht sollte ich ihr alles heimzahlen, aber ich hab wirklich keine Kraft, meine Zeit für so etwas zu verschwenden. Irgendwann wird sie herausfinden, was mit mir tatsächlich geschehen ist. Das mit meiner Amnesie. Und dann wird sie hoffentlich eine Zeit lang, und wenn es nur ein paar Sekunden sind, ein schlechtes Gewissen
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