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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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voran und macht nie einen Rückzieher. Der Kater trägt diesen Namen, weil er bescheiden wie ein Bauer ist und trotzdem verlässlich seine Aufgabe erfüllt.«
    Die alte Dame rollte den Bauern auf ihrer Handfläche hin und her und verglich die Figur mit dem Kater, so als bräuchte sie Zeit, um seine Ausführungen zu verstehen.
    Traurig betrachtete er ihre zitternden Hände, die unschuldig mit dem Bauern spielten. Sie hatten so viele wundervolle Notationen geschaffen und nun alles vergessen.
    »Hier gibt es so vieles, was ich nicht verstehe. Ich weiß noch nicht einmal, warum ich hier bin.«
    Die alte Dame wollte den Bauern auf h2 zurückstellen, aber aus Angst, die Nachbarfiguren anzustoßen, war sie so vorsichtig, dass ihre Hand immer mehr zitterte. Deshalb landete die Figur auf h3.
    »Ach, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, sagte der Junge und schaute zu ihr auf. »Wenn man sich das Schachbrett als eine Landkarte denkt, dann befinden wir uns hier auf Feld a8, da, wo der schwarze Turm steht. Er ist wie ein Streitwagen, der vorwärts- und rückwärtsfahren kann, nach rechts und nach links. Da er sein Territorium gut zu schützen weiß, sind wir hier in Sicherheit.«
    Und zudem ist der Turm Ihre Lieblingsfigur, fügte er im Stillen hinzu.
    »Wirklich? Ich bin in dieser Festung?«
    Sie hob den Turm hoch. Ja, ihr geliebter Turm. Aber ihre runzligen Finger konnten ihn kaum noch halten.
    Sie standen so nah beieinander, dass sie gegenseitig ihren Atem spüren konnten, und starrten auf das Schachbrett. Das Licht fiel aus dem Zimmer auf die nahen Weiden. Irgendwo dahinter, in dunkler Ferne, lagen a1, h1 und h8.
    »Ja, der Ozean des Schachs ist grenzenlos. In diese Fluten kann man nach Herzenslust eintauchen.«
    Wie gerne hätte der Junge ihr erzählt, dass sie dieselben Worte schon einmal gesagt hatte. Aber er behielt es für sich.
    »Wenn Sie möchten, bringe ich Ihnen Schach bei«, sagte der Junge.
    »Schach?« wiederholte sie und sah ihn verwundert an.
    »Ja. Gemeinsam mit den Figuren fährt man über ein Meer von acht mal acht Feldern. Aber setzen Sie sich doch. Solange Sie nicht Platz genommen haben, können wir nicht anfangen.«
    Er schob den Stuhl zurecht und nahm ihren Arm. Er fühlte sich warm an und war so dünn, dass er ihn vollständig mit seiner Hand umfassen konnte. Es war eine Wärme, die in ihm eine ferne Sehnsucht weckte. Am liebsten hätte er ihn nie wieder losgelassen. Die alte Dame legte sich ihre Handtasche in den Schoß, und nachdem sie ein bisschen hin und her gerückt war, hatte sie eine geeignete Position gefunden. Endlich war der Zeitpunkt gekommen, wo die alte Dame wieder dem Kleinen Aljechin gegenübersaß. Seine Augen schimmerten sanft im Schein des flackernden Feuers.
    »Ein Spielfeld besteht aus schwarzen und weißen Feldern, acht waagerecht, acht senkrecht. Das macht zusammen vierundsechzig. Das Feld rechts unten vor dem Spieler ist immer weiß. Es gibt sechs verschiedene Figuren, die sich jeweils auf verschiedene Weise fortbewegen.«
    Er stellte zunächst alle Figuren auf den Beistelltisch, um das Brett leer zu räumen.
    »Eins, zwei, drei …«
    Mit zittrigem Zeigefinger zählte die alte Dame die Felder ab.
    »Genau, das sind acht Felder.«
    »Ja.«
    »Immer abwechselnd schwarz und weiß.«
    »Ja.«
    Sie tauschten ein Lächeln aus.
    »Also, mit welcher Figur wollen wir beginnen?«
    »Tja …«
    Sie ließ den Blick über die Figuren gleiten.
    »Ah, hier, die ist gut. Ich nehme diese. Die mag ich am liebsten.«
    Es war der Turm, nach dem sie griff. Der Turm, der so geradlinig durch die feindlichen Linien preschte.
    »Ja, diese Figur passt gut zu Ihnen. Sie kann vor- und zurückgehen und auch seitlich. Und wenn der Turm unterwegs auf eine feindliche Figur trifft, kann er sie schlagen.«
    Der Junge stellte den schwarzen Turm auf d4. Dann ließ er ihn, um zu demonstrieren, wie rasend schnell er sich fortbewegen konnte, in alle vier Richtungen bis an den Rand des Spielfelds gleiten. Als er damit fertig war, stellte er einen Bauern auf g4, den er mit dem Turm schlug.
    »So etwa.«
    »Darf ich auch mal?«
    »Natürlich.«
    Anfangs war sie noch etwas zaghaft, aber dann kam sie in Schwung, und sie fegte nach h4, h8 und schließlich nach a8.
    »Das macht Spaß.«
    Der Turm lag in ihrer Hand, als würde er sich ihr ganz anvertrauen.
    »Wie schön, dass Sie es sind, der mir Schach beibringt. Ich glaube, es könnte mir gefallen. Sie sind gewiss ein guter Lehrer«, sagte die alte Dame.

18
    Ein
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