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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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habe im Voraus alles genau ausgemessen. Der Junge hatte die Lippen geschlossen, wie bei seiner Geburt. In der rechten Hand hielt er einen Bauern, in der linken einen Läufer.

EPILOG
    Die Notation, die belegt, dass der Kleine Aljechin tatsächlich existiert hat, wird heute in einem Schachmuseum ausgestellt. Es ist jenes Museum, das Miira einst mit ihrem Vater, dem Zauberkünstler, besucht hatte. Das Exponat liegt im ersten Stock ganz hinten, in Vitrine II-D, neben dem kleinsten Schachspiel der Welt. Über die Jahre ist das Papier vergilbt, die Tinte verblasst, aber wenn man die Lupe benutzt, die eigentlich für das Miniaturschachspiel gedacht ist, kann man jede Zeile deutlich lesen. Auf dem Hinweisschild, das neben der Vitrine angebracht ist, steht Folgendes zu lesen:
    Das Wunder des Läufers
    Notation der Partie zwischen dem Schachautomaten Kleiner Aljechin und dem Schachgroßmeister S. Die Notation erhielt diesen Titel aufgrund der Eleganz und Besonnenheit, welche die Züge des Läufers charakterisierten. Verglichen mit dem »Schachtürken«, einem Automaten, der im 18. Jahrhundert von Baron Wolfgang von Kempelen konstruiert und mit bedeutenden Persönlichkeiten wie Maria Theresia, Napoleon Bonaparte, Benjamin Franklin und Edgar Allen Poe in Zusammenhang gebracht wurde, war das Leben des Kleinen Aljechin von Bescheidenheit geprägt. Grund hierfür war, dass er nur an wenigen Orten sein Können demonstrierte, die allesamt fernab der großen Bühne des Schachs liegen. Es heißt, eine Organisation, die in Verbindung mit dem Pazifik-Schachklub steht, habe sich als Sponsor an den Herstellungskosten beteiligt. Belege hierfür sind nicht bekannt
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    Es gibt nur wenige Zeitzeugen, die wie Herr S. gegen den Kleinen Aljechin angetreten sind. Diese bestätigen, dass die Puppe dem großen Poeten des Schachbretts, Großmeister Alexander Alexandrowitsch Aljechin, nachempfunden war und im rechten Arm eine gefleckte Katze hielt, während sie mit links setzte. Wie ein richtiger Mensch konnte sie eine Figur mit den Fingern greifen und auf ein anderes Feld rücken. Allein beim Entfernen der geschlagenen Figur des Gegners war ihr die junge Protokollantin aus dem Klub behilflich. Es gibt auch Augenzeugen, die von einer weißen Taube berichten, welche aus unerklärlichen Gründen auf der Schulter des Mädchens hockte, was zu vielen Spekulationen führte. Da aber alle Zeitzeugen heute nicht mehr leben, gibt es auch hierfür keine Belege. Nur eines konnte bewiesen werden. Jeder Schachspieler, der gegen den Kleinen Aljechin antreten durfte, sprach im Anschluss von der besten Partie, die er jemals gespielt habe
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    Bis heute ist unklar, wer den Schachautomaten bedient hat. Der Kasten unter dem Schachtisch maß nur fünfzig Zentimeter auf jeder Seite, sodass kein erwachsener Mensch je dort Platz gefunden hätte. Aus der Notation ist jedoch zu ersehen, dass ein Kind niemals eine derart anspruchsvolle Partie hätte spielen können. Viele Schachexperten, die versucht haben, dieses Rätsel zu lösen, vertreten die Meinung, dass der Spieler ein Mensch von besonderer körperlicher Beschaffenheit gewesen sein muss
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    Die letzte Station des Kleinen Aljechin war die Seniorenresidenz »Etüde«, danach verlor sich seine Spur. Leider konnte keiner der Bewohner dabei behilflich sein, das Rätsel um den Verbleib der Puppe zu lösen. Inzwischen ist das Gebäude abgerissen worden
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    Der Erhalt dieser wertvollen Notation ist den Bemühungen einer einzelnen Frau zu verdanken. Es war zwar ihr ausdrücklicher Wunsch, anonym zu bleiben, aber zumindest weiß man, dass es sich um eine Person handelt, die einst in einem Hotel gearbeitet hat, in dem auch der Schachautomat aufgestellt war. Sie hat das zwischenzeitlich verschollene Manuskript aufgespürt und zur sicheren Verwahrung unserem Museum übergeben. Wobei sie ausdrücklich darauf bestand, dass das Exponat neben dem kleinsten Schachspiel der Welt seinen Platz finden sollte
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    Wenn man die Dame zu jener Person befragt, die den Kleinen Aljechin bediente, erhält man immer die gleiche Antwort: »Er war ein begnadeter Schachspieler und seinem Namenspatron durchaus ebenbürtig. Er hat für nichts anderes gelebt als für den Automaten, seine eigene Existenz war ihm unwichtig. Wenn Sie mehr über ihn wissen wollen, lesen Sie die Notation. Dort steht alles geschrieben.«
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