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Schwesternkuss - Roman

Schwesternkuss - Roman

Titel: Schwesternkuss - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Als Alice auftauchte, war die Depression von Bennies Mutter, Carmela Rosato, so schlimm geworden, dass man sie ins Krankenhaus einweisen musste. Sie sprach nicht mehr. Ihren Vater, ein gewisser William Winslow, kannte Bennie zu dieser Zeit noch nicht. Es hatte sie eine Menge Mühe gekostet, ihn aufzustöbern, um Klarheit über Alices Geschichte zu bekommen. Alice hatte die Wahrheit gesagt. Ihre Mutter hatte Zwillingen das Leben geschenkt, aber nur ein Baby, Bennie, behalten. Denn sie war pleite und litt unter Depressionen. Alice gab sie zur Adoption frei.
    Seltsam war es gewesen, plötzlich eine Zwillingsschwester zu haben. Denn bisher hatte Bennies Leben nur aus ihr und ihrer Mutter bestanden: sie beide allein gegen den Rest der Welt. Anfangs arbeitete ihre Mutter als Sekretärin, aber mit der Zeit ergriff die mentale Krankheit immer mehr von ihr Besitz. Wie Schatten, die gegen Ende des Tages immer länger werden, verdüsterte sich allmählich ihr Leben. Sie erhielt professionelle Hilfe zu einer Zeit, als sie noch klar genug war, darum zu bitten. Bennie besuchte mit ihr eine Menge Arztpraxen und Krankenhäuser, die mit Medikamenten und sogar Elektroschocks herumexperimentierten.
    Ihre Mutter wurde zunehmend hilfsbedürftiger, und Bennie, damals ein junges Mädchen, kümmerte sich um sie. Die Nachricht, dass ihre Mutter zwei Kinder zur Welt gebracht hatte, half Bennie, ihren psychischen Niedergang besser zu verstehen. Wie musste sie unter der Weggabe eines eigenen Kindes gelitten haben. Sogar Bennie hatte sich schuldig gefühlt, als sie von der Existenz ihrer Schwester erfahren hatte. Denn sie war die Auserwählte und Alice die Verstoßene. Bennie versuchte das irgendwie auszugleichen, aber Alice machte ihr nur Schwierigkeiten. Ihre Beziehung blieb laut und turbulent, bis sie nach einem Riesenstreit Frieden schlossen. Bennie hatte ihrer Schwester einen Job bei der Rechtshilfe verschafft.
    Das ist jetzt vorbei.
    Bennie konnte nicht verstehen, was hier mit ihr geschah. Es hatte keinerlei Anzeichen gegeben. Gründe waren nicht zu erkennen, außer vielleicht alte Eifersucht, alte Rachegelüste oder Missgunst. Sie hätte auf der Hut sein müssen. Nun wurde sie eines Besseren belehrt. Zu Anfang ihrer Beziehung hatte sie Alice überhaupt nicht vertraut. Und damals hatte sie nicht einmal geahnt, wie böse sie werden konnte. Hätte sie doch dieses Misstrauen nie aufgegeben!
    Anfangs hatte Bennie in Alice die typische Gefangene gesehen, die alles sagen und tun würde, um einen Verteidiger für sich zu gewinnen. Ihre Version des Tatverlaufs war nicht sehr originell gewesen. Das Mordopfer, ein Polizist, war ihr Freund, mit dem sie die Wohnung teilte. Alice behauptete, dass korrupte Cops ihr den Mord anhängen wollten.
    Bei ihrem ersten Gespräch hatte Alice ein Foto mitgebracht. Darauf ein Mann, der zwei Babys hochhielt. Angeblich William Winslow, ihr gemeinsamer Vater. Angeblich hatte er ihr das Foto bei einem Gefängnisbesuch geschenkt. Bennie hatte weder irgendwann ein Foto von ihrem Vater gesehen, noch war sie ihm je persönlich begegnet. Denn auch wenn der Mann auf dem Foto helles Haar und blaue Augen hatte, war Bennie sich sicher, dass das Foto nur der Köder war, um sie für die Interessen ihrer Schwester zu gewinnen.
    Dann brachte Alice ein zweites Foto mit, eines von ihrer Mutter. Das Foto hatte sie angeblich auch von ihrem Vater. Für Bill hatte ihre Mutter auf die Rückseite geschrieben. Es zeigte ihre Mutter, ungefähr sechzehn oder siebzehn Jahre alt, mit Freundinnen in einem Imbiss. Ihr hübsches Gesicht hatte sie halb zur Kamera gewandt, der Schalk der Jugend sprach aus ihren Augen.
    Für Bennie war das Foto wie eine Offenbarung gewesen, hatte sie bisher doch nur Bilder ihres seelischen Verfalls im Kopf gehabt. Dennoch hatte sie an der Echtheit des Fotos und der Widmung gezweifelt.
    Bennie überlegte, wann ihr Verhältnis zu Alice zu vertrauensselig geworden war. Es hatte sich zwar herausgestellt, dass Alice den Polizisten nicht getötet hatte, aber das bedeutete nicht, dass sie keine Betrügerin war. Und hatte sie nicht irgendwann die Ahnung beschlichen, dass Alice in ihrem Leben, zumindest einmal, gemordet haben musste?
    O mein Gott. Ich kann nicht mehr atmen.
    Bennie atmete einmal, atmete zweimal, aber ihre Lungen wollten sich nicht füllen. Sie öffnete den Mund, aber es ging nicht. Ihr Herz flatterte, es schlug unrhythmisch und panisch. Wann ginge der Sauerstoff aus? Wie lange hielte sie es ohne Essen aus?
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