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Schwesternkuss - Roman

Schwesternkuss - Roman

Titel: Schwesternkuss - Roman
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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nicht mehr auftauchte, wusste sie, dass etwas passiert war. Q war ein Dreckskerl. Er würde erst Ruhe geben, wenn auch sie beseitigt war. Überall hatte er seine Leute, und wenn einer von denen sie erwischte – gute Nacht. Kurzum, sie musste verschwinden. Ihr Plan war, in die Rolle ihrer reichen Schwester zu schlüpfen, deren Konten anzuzapfen und danach das Weite zu suchen. Für dieses Betrugsmanöver veranschlagte sie ein paar Tage. Alice hätte Bennie auch töten können. Aber eine Tote mit dem gleichen Gesicht wie ihres? Und dazu dieses schreckliche Khakikostüm. Nein, danke.
    Sie raste durch die dunkle Nacht, ihr Puls schlug schnell. Wie sie das liebte! Immerzu wollte sie es schneller, größer, heftiger und gewaltiger haben. Wenn sie sich zu langweilen begann, zog sie weiter. Ihr Leben sollte kein Verlustgeschäft sein, denn sie lebte nur einmal. So war sie. Ihre Kindheit war schuld daran.
    Sie dachte an ihre Eltern, John und Vilma Connelly, die in New Jersey eine Versicherungsagentur betrieben hatten. Die beiden hatten ein bescheidenes und ruhiges Leben geführt, sich rührend um ihr Töchterchen gekümmert, sie mit dem obligatorischen rosa Schlafzimmer beglückt und in die örtliche Public School geschickt. Aber Alice hatte ihre Eltern nie geliebt. Es gab kein richtiges Band zu ihnen, und das kleine Mädchen hatte das gespürt.
    So wuchs sie ohne rechte Verbindung zu ihren Eltern auf, das Wort Adoption hatte sie bis dahin noch nicht gehört. Aber sie wusste, dass sie ihnen nicht ähnlich sah. Sie war blond, und die Eltern hatten beide dunkles Haar. Schon mit dreizehn überragte sie Mama und Papa. Der größte Unterschied lag aber in ihrem Temperament. Sie war laut, maßlos und wollte alles haben. Die Eltern waren leise, bescheiden und mit allem zufrieden. Aber jedes Mal, wenn sie sie fragte, ob sie ein Adoptivkind war, stritten sie es ab. Diese Lüge, sie hatte Alice nie wütend gemacht. Als beide vor ein paar Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben kamen – ein betrunkener Fahrer hatte sie kutschiert –, ging sie zwar zur Beerdigung, vergoss aber keine einzige Träne.
    Aus Bennies Kuriertasche nahm sie sich ein Papiertaschentuch, spuckte darauf und wischte ihr Make-up weg. Dann kurbelte sie das Seitenfenster herunter, um ihre Frisur zu ruinieren. Als sie in Philadelphia ankam, waren ihre Haare so lockig wie die ihrer Schwester. Sie steuerte den Wagen nach Fairmount, ein vornehmes Wohnviertel, das an ihrem geliebten Schuylkill River lag. Vor den Häusern im Kolonialstil standen BMW s und SUV s. Sie fuhr auf einen Parkplatz und schaltete die Innenbeleuchtung ein. Als sie sich im Rückspiegel betrachtete, musste sie lächeln. Sie glich Bennie aufs Haar, zumindest vom Hals an aufwärts.
    »Hi, ich bin Bennie Rosato«, übte sie schon einmal in Bennies Wagen. »Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ja, ich bin Bennie, Bennie Rosato.«
    Sie stieg aus dem Wagen und sperrte ihn ab. Zwei Männer, die sich unterhielten, gingen an ihr vorbei. Sie zog den Kopf ein und hoffte, keinem von Bennies Nachbarn zu begegnen, denn ihre Zwillingsschwester kleidete sich anders. Bennie wohnte in einem zweistöckigen Backsteinhaus mit schwarzen Fensterläden. Alice sperrte die Haustür auf, machte Licht und blieb wie angewurzelt stehen. Sie hatte etwas vergessen. Bennie besaß einen großen Hund.
    Als dieser den Kopf hob, aufstand und langsam auf sie zutapste, rührte sie sich nicht mehr vom Fleck. Seine Zehennägel machten auf dem Holzfußboden ein unangenehmes Geräusch. Er wedelte nicht mit dem Schwanz. Sein Blick war nicht freundlich. Der Hund wusste, dass sie nicht Bennie war.
    Er begann zu knurren.
    4
    Mary DiNunzio hatte das Wochenende eigentlich am Strand verbringen wollen. Aber die Aussicht, endlich ihre geheimnisvolle Kusine Fiorella Bucatina kennenzulernen, die zu Besuch aus Italien war, ließ sie ihre Pläne ändern. Die Küche ihrer Eltern war vollgestopft mit Menschen wie die Schiffskabine in dem berühmten Marx-Brothers-Film. Denn egal wie viele Leute zum Abendessen kamen, ihre Eltern aßen niemals im Esszimmer, außer an Weihnachten, Ostern oder einem anderen hohen kirchlichen Feiertag, an dem Jesus oder der Heiligen Jungfrau etwas Gutes widerfuhr.
    In der Küche war es schwül, denn alles, was nach der Abschaffung der lateinischen Liturgie erfunden worden war – seien es Klimaanlagen oder Mikrowellen –, war in den Augen von Marys Eltern Teufelszeug. Fotos von Frank Sinatra, JFK und Papst Johannes,
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