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Schwesterlein, komm stirb mit mir

Schwesterlein, komm stirb mit mir

Titel: Schwesterlein, komm stirb mit mir
Autoren: Karen Sander
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Treppenhauslicht auf seiner Etage nicht funktionierte. Selbst als er eine Bewegung vor seiner Wohnungstür wahrgenommen hatte, hatte er nicht schnell genug geschaltet. Er war Jäger, nicht Gejagter, und dass jemand ihm auflauerte, hatte er nicht erwartet.
    Als Stadler begriff, was geschah, war es schon zu spät gewesen. Er spürte einen Schlag auf den Kopf, dann nichts mehr. Bis er in diesem Schlafzimmer wieder zu sich gekommen war, geknebelt und an den Heizkörper gefesselt.
    Vor einer Weile hatte Hendrik Vermeeren ihm erzählt, wie er das ältere Ehepaar, das eigentlich in dem Haus wohnte, auf eine Weltreise geschickt hatte, angeblich der Hauptgewinn in einem Preisausschreiben. Die beiden hatten sich nichts dabei gedacht, obwohl sie nie an einem Preisausschreiben teilgenommen hatten.
    Stadler war erleichtert gewesen, dass die alten Leute noch lebten, bis Vermeeren zur Pointe seiner Geschichte kam: Die Reise des Ehepaars hatte in einem Steinbruch im Sauerland geendet.
    Wieder versuchte Stadler, eine raue Stelle an dem Heizkörper zu finden, an dem er die Fesseln aufscheuern konnte. Vergebens. Zudem machte ihn der Benzingestank benommen. Wo hatte Vermeeren das Zeug versteckt? Und vor allem: Wie viel davon?
    Was er damit vorhatte, war weniger schwer zu erraten. Man musste kein Psychologe sein, um zu begreifen, dass Hendrik Vermeeren sein Elternhaus samt seiner Schwester und deren vermeintlichem Liebhaber in die Luft jagen wollte. Fragte sich nur, worauf er noch wartete.

Dienstag, 5. November, 11:29 Uhr
    Ohne Gegenwehr folgte Liz ihrem Bruder aus der Küche. Wie früher hatte er ihr die Augen verbunden und führte sie zu der Überraschung, die er sich für sie ausgedacht hatte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, eine innere Lähmung hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie war wieder das kleine Mädchen, das seinen Bruder vergötterte und ihm blind vertraute.
    Schon nach wenigen Schritten befahl er ihr, stehenzubleiben, und nahm ihr die Augenbinde ab. Liz blinzelte orientierungslos, bis sie erkannte, dass sie im Wohnzimmer waren.
    Der Raum war völlig anders eingerichtet als während ihrer Kindheit, lediglich die große Schrankwand, die der Fensterfront gegenüberstand, glaubte sie zu erkennen. Ihr Blick streifte das Möbelstück jedoch nur und blieb am Boden haften. Auf dem rot-blau gemusterten Teppichboden hatte Hendrik ein Dutzend Benzinkanister nebeneinander aufgereiht wie eine Schlange am Flughafenschalter.
    «Eigentlich wollte ich die Kanister schon vor deinem Eintreffen ausgießen», erklärte er. «Den Inhalt im ganzen Haus verteilen. Aber die Dämpfe hätten mich ausgeknockt.» Er verzog bedauernd das Gesicht. «Das muss also noch ein bisschen warten.»
    Liz kämpfte vergeblich gegen das dumpfe Gefühl, ihrem Bruder völlig hörig zu sein. Sie hatte noch keinen ersthaften Versuch unternommen, ihn zum Aufgeben zu bewegen. Statt wohlüberlegter Worte spukten lauter Fragen in ihrem Kopf herum.
    «Warum?», fragte sie leise. «Warum hast du all diese Menschen getötet? Warum unsere Eltern?»
    «Aber Liz, was soll dieses Psychogequatsche? Glaubst du, ich breite jetzt mein Innenleben vor dir aus?» Er fasste sie am Kinn und sah sie an. Aus seinen Augen sprach eine Kälte, die Liz zittern ließ. «Soll ich dir ein Geheimnis verraten?» Er lachte kurz. «Da gibt es nichts auszubreiten.»
    Liz war so taumelig, dass sie nicht einmal die Kraft aufbrachte, seine Hand wegzuschlagen. «Was hat Mama dir getan, dass du sie so sehr hasst?», fragte sie in der verzweifelten Hoffnung, doch noch eine Antwort zu bekommen. Dabei kannte sie die inzwischen. Ihre Mutter hatte es nicht fertiggebracht, ihren Sohn zu lieben.
    «Verdammt!» Grob stieß Hendrik sie weg, sodass sie gegen die Schrankwand prallte. «Die Schlampe ist tot. Na und? Ich weine ihr keine Träne nach. Du etwa?»
    Liz biss sich auf die Lippe. Seine Worte taten weh, viel mehr weh als der Aufprall auf die Schrankwand. «Und unser Vater?»
    Hendrik lachte auf. «
Dein
Vater», verbesserte er sie. «Ulrich Vermeeren ist ein Feigling. Er hat die Höchststrafe bekommen.»
    Plötzliche Erkenntnis durchzuckte Liz. «Er sollte gar nicht sterben?»
    Hendrik musterte sie verächtlich. «Wenn ich gewollt hätte, dass er krepiert, wäre er jetzt tot. Aber das wäre eine zu milde Strafe gewesen. Er soll für den Rest seines erbärmlichen Lebens daran denken müssen, was für ein jämmerlicher Versager er ist.»
    «Und Deborah?», flüsterte Liz.
    «Die war total scharf auf mich.»
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