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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Autoren: Katrin Grunwald
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verschieben, bis es anfängt zu regnen.
    Es ist traumhaft friedlich. Aus einer Ecke hört man leise Musik aus einem Radio, und an einem Monitor poppt ein kleiner, kaum bemerkenswerter Fehlalarm auf. Am Hauptarbeitsplatz herrscht entspannte Ruhe – die Computer befinden sich im Standby-Modus, auf den Abstellflächen stehen leere Kaffeetassen. Die Neonröhren sind ausgeschaltet, denn die Sonne scheint hell durch die Fenster. Umgeben von Regalen, in denen sich Laborscheine, Narkoseprotokolle, Stempel und der übliche Bürokleinkram befinden, sitzen die sechs Kollegen entspannt und müde auf den ergonomischen Stühlen, schreiben Pflegeberichte, unterhalten sich und warten auf die Ablösung.
    Sie sind guter Dinge – zwar sind alle schon seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen, aber alles ließ sich in Ruhe «wegarbeiten», den Patienten ging es so weit gut und es gab keine dramatischen Zuspitzungen. Jetzt freuen sie sich auf den Liegestuhl zu Hause unterm Sonnenschirm.
    Bis zur Übergabe ist noch Zeit, wir sitzen draußen in der Sonne, trinken erst mal einen Kaffee und rauchen eine Zigarette. In den umliegenden Parzellen lärmen Familien. Ein Hund bellt. Sicher schmeißen sie bald den Grill an und kippen ein bisschen Benzin drauf, damit es schneller brennt.
    Mit von der Partie ist heute der Giftzwerg – eine Kollegin, die wesentlich kleiner als ich ist und ihre geringe Körpergröße durch eine streitbare Persönlichkeit wettmacht. Der Giftzwerg lässt sich längst nicht alles bieten; schlagfertig und mit einer guten Portion Mutterwitz wieselt sie durch den Dienst, mit wirren, in alle Himmelsrichtungen abstehenden Haaren. Ein weiterer Vorteil am Giftzwerg ist ihr absoluter Pragmatismus. Es gibt nichts, was sie nicht irgendwie geregelt kriegen würde. Sie kennt keine Berührungsangst und fasst, ohne mit der Wimper zu zucken, alles an – sicher, mit Gummihandschuhen, aber dann wird nicht lang gefackelt. Andererseits sind wir beide auch schnell mal die «Masters of Desaster», denn wir erleben regelmäßig Schichten, in denen es so richtig zur Sache geht oder merkwürdige Sachen passieren. Es wird also spannend, wir werden es sehen.
    Die Aufteilung geht schnell über die Bühne, die kurze Berichterstattung über den morgendlichen Verlauf beinhaltet noch ein kurzes Schmankerl, denn unter den wachen Patienten befindet sich ein älterer Herr im postoperativen Verwirrtheitszustand, der der Kollegin fröhlich mit seiner frisch gefüllten Urinflasche zuprostete und sich dann anschickte, einen tiefen Schluck daraus zu nehmen, bevor ihm der beherzt zugreifende Kollege die volle Flasche wegnahm. In der Intensivmedizin hat die Eigenharntherapie auch noch nicht allzu viele Freunde gefunden, und wir wollen hoffen, dass es dabei bleibt. Diesem Herrn und seinem Zimmerkollegen ist der Giftzwerg heute zugeteilt, und sie scheint mir auch genau die Richtige für den Job.
    Ich habe zwei Patienten in meiner Obhut: Frau Hahn und Herrn Petersen. Frau Hahn liegt hinter einem Sichtschutz. Sie war vor einigen Tagen mit ihrem Mann im Einkaufszentrum und erlitt in der Gemüseabteilung plötzlich einen Herzstillstand. Der Ehemann hat trotz seiner Panik alles richtig gemacht und sie reanimiert. Aber es war Mageninhalt in die Lunge der Frau geraten. Nachdem der Notarzt die Frau intubiert hatte, konnte er ein paar unverdaute Erbsen absaugen. Oft erwarten einen kleine oder größere Überraschungen, wenn man Fremdkörper aus den Lungen der Menschen heraussaugt – Erbsen, Champignons (fein geschnitten) oder Nudeln. Manchmal begegnen einem aber auch Dinge, die ein bisschen größer sind und deshalb vor der Lunge querliegen, zum Beispiel so gut wie gar nicht gekauter Entenbraten, Schinkenstücke oder ein Stück Banane. All diese Dinge gehören definitiv nicht in die Lunge. Tut man sie trotzdem dort hinein, entzündet sie sich, so einfach ist das. Trotz dieses Befundes geht es Frau Hahn den Umständen entsprechend gut; sie hat eine Narkose, ist beatmet, bekommt Antibiotika, der Kreislauf ist stabil, und sie scheint auch neurologisch so weit keine größeren Schäden davongetragen zu haben.
    Herr Petersen ist Anfang 50, eigentlich ziemlich drahtig, Typ «sportlicher Manager». Dagegen spricht momentan allerdings seine Hautfarbe: Er ist aschfahl. Seit gestern Vormittag hat er mehrfach Blut erbrochen, eine Magenblutung ist schuld daran. Über ihm schwebt wie ein Damoklesschwert eine Not- OP , sollte die Blutung nicht zum Stillstand gebracht
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