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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise
Autoren: Berte Bratt
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Dies war die Feuerprobe - eine doppelte, nein, eine vielfache Feuerprobe. Jetzt nicht einen einzigen Schnitzer machen!
    Wie sonderbar diese graublauen Augen glänzten. Fühlte er wohl das gleiche wie sie? Weshalb war er hier? Wie ging es zu, daß er plötzlich hier im Operationssaal stand, in „ihrem“ Operationssaal, und dem Chef assistierte?
    „Kompressen, Schwester!“
    Sie hatte sie schon gereicht. Halfdan nahm sie. Es war nicht das erstemal, daß er Brattholm bei einer Nierenoperation assistierte. Die vier Jahre, die seitdem vergangen waren, zählten nicht. Er arbeitete, als habe er nie etwas anderes getan, als Brattholm zu assistieren.
    Schwester Kirsten hob die blutigen Kompressen auf und zählte
    sie.
    „Haken, Schwester.“
    Brattholm nahm sie ihr aus der Hand. Er arbeitete schnell, genau, erfahren. Zwischen ihm und Halfdan wurden nicht viele Worte gewechselt. Sie kannten ihren Rhythmus.
    Eirin warf einen blitzschnellen Blick auf Halfdans rechte Hand. Keine Unregelmäßigkeit - keine Ausbuchtung unter dem Gummihandschuh am Ringfinger.
    Unfug! Ärzte pflegen keinen Ring zu tragen. Das besagte gar nichts! Sie wußte ja, daß er verheiratet war.
    „Noch mehr Kompressen!“
    Halfdan warf einen verstohlenen Blick auf die kleine, ruhige Gestalt am Instrumententisch. Ihre Augen waren aufmerksam auf den Patienten und auf Brattholms Hände gerichtet. Nichts ließ darauf schließen, daß sie angesichts des Blutes und der freigelegten Eingeweide auch nur die kleinste Schwäche zeigte.
    Wie war das möglich? War es das, womit sie sich in all diesen Jahren beschäftigt hatte? Und weshalb?
    Mit einemmal stand ihm der ganze Zusammenhang sonnenklar vor Augen. Um seinetwillen hatte sie das getan. Um seinetwillen, um alles in Frostviken Vorgefallene zu sühnen - um sich seiner und seiner Liebe würdig zu erweisen! „Noch mehr Pinzetten, Schwester!“
    Wie er sie liebte! Er hatte oft davon geträumt, wie sich das Wiedersehen mit ihr gestalten würde. Aber in seinen verrücktesten Träumen hatte er es sich nicht so gedacht, daß sie in einem Operationssaal einander gegenüberstehen würden, ohne miteinander zu reden, arbeitend, alle Nerven angespannt, um ein Menschenleben zu retten.
    Und er konnte nichts weiter sehen als ein Stückchen von ihrer Stirn und dann die Augen - die dunklen, schimmernden samtbraunen Augen.
    Halfdan setzte die Pinzetten ein. Jeder Griff saß. Hier handelte es sich um Sekunden, und nicht eine Sekunde wurde vergeudet.
    Plötzlich starrten sie beide den Chef an. Er atmete schwer. Eirin sah, daß Schweißperlen auf seiner Stirn standen.
    Halfdan fiel es ein, daß der Chef kurz vorher drei Zigarren hintereinander geraucht hatte - und im Operationssaal war es stickig. Brattholm verfärbte sich. „Das Messer, Schwester.“
    Halfdan verdoppelte seine Aufmerksamkeit. Brattholm war von einem Unwohlsein befallen, das war nicht zu verkennen. Und das mitten in der Operation!
    Jetzt öffnete er die Wunde bis in die Tiefe. Die beschädigte Niere lag bloß, und das Blut spritzte. Eirin bekam eine Dusche über den Arm und die Hand. Sie verzog keine Miene. „Schwester, bitte - “
    Brattholm hatte das Messer aus der Hand gelegt. Er riß die Maske herunter, er verdrehte die Augen, holte tief Luft und sank auf einen weißen Schemel nieder.
    Halfdan hatte im Nu den Platz des Chefs eingenommen, und Eirin den von Halfdan. Das Blut sprudelte aus der Wunde. Eirin gab einen einzigen kurzen Bescheid: „Schwester Kirsten, bitte an meinen Platz!“ Die andere Helferin, die kleine Schwester Eva, mußte Hilfe holen. Brattholm wurde hinausgebracht.
    Obwohl Halfdan unverzüglich den Platz des Arztes übernommen hatte, waren einige kostbare Sekunden verlorengegangen. Der Blutverlust des Patienten war groß. Halfdan und Eirin arbeiteten fieberhaft und verbissen. Gefäßklammern wurden angelegt, die Nierengefäße abgebunden. Halfdan band, Eirin stand mit der Schere bereit und schnitt. Sie arbeiteten, als hätten sie jahrelang zusammen in einem Operationssaal gestanden. Keine zwei Worte wurden gewechselt. Sie verstanden einander, lasen gegenseitig ihre Gedanken. Eirin gab Schwester Kirsten hier und da eine kurze Anweisung. Halfdan verlangte ein Instrument. Eirin sagte: „Ganz rechts“ - „Links von dem Haken“ -, das Instrument wurde hingereicht, und die Operation nahm ihren Fortgang.
    Die zerstörte Niere konnte entfernt werden. Als Eirin sie in ihre behandschuhte Hand nahm und das blutige, warme menschliche Organ einen
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