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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise
Autoren: Berte Bratt
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Zeiger rückten davon nicht rascher vorwärts. Vor halb neun konnte er fremden Leuten keinen Besuch machen.
    Um halb neun stand er vor Frau Lindbergs Wohnungstür und klingelte.
    Niemand öffnete. In der Wohnung rührte sich nichts. Er klingelte noch einmal. Da ging die Tür zur Nachbarwohnung auf, und eine Hausangestellte trat heraus.
    „Frau Lindberg ist verreist“, sagte das junge Mädchen freundlich.
    „Ach - so - aber die junge Dame, die bei ihr wohnt - “
    „Junge Dame? Bei Frau Lindberg? O nein, Frau Lindberg wohnt allein.“
    „Wohnt hier nicht ein Fräulein Johnsen?“
    „Nein. Ich kenne Frau Lindberg gut, denn wenn sie in der Stadt ist, mache ich dreimal wöchentlich bei ihr sauber. Nein, bei Frau Lindberg hat nie jemand zur Miete gewohnt.“
    Halfdan merkte nicht, wie er wieder aus dem Haus herauskam. Da stand er auf der Straße der sonnenbeschienenen Stadt und wußte nicht, wie er es anstellen sollte, nach Eirin zu forschen.
    Er verfiel zwar darauf, in dem Büro anzufragen, wo sie angestellt war, als er sie kennenlernte. Aber da erfuhr er nichts weiter, als daß „Fräulein Johnsen - ach, das war doch die, die nach Nordland fuhr -wohl da oben mit einem Arzt verheiratet ist.“
    Cilly saß in Trondheim. Er schlug in einem Reichstelefonbuch nach. Cilly hatte kein Telefon.
    Die übrigen Freunde? In alle Himmelsrichtungen verstreut!
    Die Vorstellung, daß sie in dieser Stadt lebte, vielleicht nur zehn Minuten von hier entfernt, beeindruckte ihn so, daß er gar nicht auf den Gedanken kam, auf den Meldeämtern nach ihr zu forschen.
    Am Nachmittag läutete es an der Tür zu Dr. Brattholms Klinik. Eine alte Krankenschwester öffnete.
    „Ist Herr Dr. Brattholm hier in der Klinik? In seiner Wohnung sagte man mir, daß - “
    „Ja, der Herr Doktor ist hier. Wen darf ich melden?“
    „Halfdan Hoek - Kreisarzt Dr. Hoek.“
    „Einen Augenblick, Herr Doktor. Bitte nehmen Sie Platz.“ Halfdan wartete in einer Halle, die in Elfenbeinweiß und Apfelgrün gehalten war; auf dem Tisch stand ein großer Strauß frischer Rosen, und an den Wänden hingen schöne Stahlstiche.
    Da wurde eine Tür aufgerissen, und Brattholm kam ihm mit ausgestreckten Händen entgegen.
    „Nein, Hoek, sind Sie es wirklich? Das ist ja großartig. Lassen Sie sich anschauen, Mann. - Sie sind mager geworden. Junge, Junge, Sie müssen sich da oben in Frostviken wohl zu sehr abplagen. - Zum erstenmal wieder im Süden?“
    „Ja, ich bin jetzt fast vier Jahre ohne Unterbrechung da oben gewesen.“
    „Das ist viel zu lange, Hoek, viel zu lange! Sie arbeiten sich ja zuschanden, Mensch! Kommen Sie herein, kommen Sie herein - ja, Sie müssen wissen, ich wohne sozusagen hier; ich vergesse manchmal, daß ich noch eine Häuslichkeit habe. -Kommen Sie und erzählen Sie mir, ich nehme mir frei. -
    Schwester Ellen, bitten sie Gard, er soll eben mal nach Nummer acht sehen und nach Nummer zwölf auch. Ich möchte nicht gestört werden, bin stark in Anspruch genommen - danke, das ist schön -Eine Zigarre, Hoek? Nicht? Zigarette? So, und nun schießen Sie los.“
    Gleich darauf war die Unterhaltung im Beratungszimmer des Chefs in vollem Gange. Brattholm schätzte seinen jungen Kollegen außerordentlich und hatte viel zu fragen und viel zu erzählen. Die

Zeit flog dahin, während sie beisammensaßen und ihre Erlebnisse austauschten.
    „Wie wird es denn nun jetzt, Hoek?“ fragte Brattholm, als er seine dritte Zigarre zu Ende geraucht hatte. „Bleiben Sie da oben, oder kommen Sie in den Süden zurück?“
    „Ich weiß es noch nicht. Ich fühle mich stark in Frostviken verwurzelt. Ich habe die Menschen da oben liebgewonnen. Aber ich muß auch gestehen, daß ich mich nach einem ordentlichen Operationssaal mit guten Instrumenten krank sehne - und auch nach größeren Aufgaben.“
    Brattholm lachte.
    „Soso, Sie möchten also gern wieder Ihre Kunststickerei in die Praxis umsetzen - ja, ja, das kann ich verstehen! Wäre ja auch ein Verlust für die Chirurgie, wenn Sie sich bis in alle Ewigkeit da oben unter eiternden Fingern und Entbindungen verkriechen würden. -Verdammt noch mal, ist der Mann verrückt?“ unterbrach sich Brattholm. Halfdan folgte der Richtung seines Blicks. Da sah er einen Mann, der auf einer hohen, wackeligen Leiter vor einem Fenster im zweiten Stock der gegenüberliegenden Villa stand. Er war damit beschäftigt, Kletterrosen festzubinden.
    „Er sieht aus, als sei er lebensmüde“, lächelte Halfdan. „Doch, Herr Doktor, ich denke
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