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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise
Autoren: Berte Bratt
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ausgestoßen, der in ein hysterisch krampfhaftes Gelächter überging. Sie lachte, daß sie am ganzen Körper bebte, lachte, als sei sie von Sinnen.
    „Lise! Lise! Was ist denn?“
    Ihre Züge erstarrten zur Maske. Die Mundwinkel verächtlich nach unten gezogen, die Augen halb geschlossen, sah sie ihn an. Ja, das war er, der dieselbe abgespielte Grammophonplatte in allen Verführungsszenen auflegte. So also pflegte er die Sache anzupacken! „Ein Almosen für einen, der dich anfleht“ - „eine winzig kleine glückliche Minute“ -, dieselben Worte, die er vor drei Jahren an Bord des Dampfers flüsternd gestammelt hatte!
    „Setz dich, Fredrik!“ Ihre Stimme klang schneidend und kalt. „Ich habe dir etwas zu sagen.“
    Er ließ sich gehorsam auf einen Sessel nieder und schaute unsicher zu ihr auf.
    Sie stand vor ihm.
    „Du sprachst soeben von dem ersten Mal, als du mich sahst. Erinnerst du dich, wann das war?“
    „Das fragst du mich? An einem eiskalten Wintertag war es; wir begegneten einander auf der Röntgenstation, und du trugst ein Kind in einer Wolldecke - “
    „Nein, das war nicht das erste Mal. Erinnerst du dich, daß du mich schon einmal geküßt hast?“
    „Ich - dich?“
    „Du hast ein sehr schlechtes Gedächtnis, Fredrik! Ich werde dir helfen. Vielleicht weißt du noch, daß du vor einigen Jahren im Oktober nach Tromsö fuhrst, um deinen Onkel zu besuchen?“
    „Ja-?“
    „Erinnerst du dich noch, wen du auf dem Dampfer trafst?“
    Fredrik geriet in Verwirrung. Er überlegte-, plötzlich erhellten sich seine Züge.
    „Ich traf einen Kollegen - einen Kreisarzt, Dr. Hoek - “
    „Und seine Verlobte, Fredrik! Erinnerst du dich ihrer nicht? Sie hatte so einen merkwürdigen Namen. Eirin hieß sie! Kannst du dich wirklich nicht besinnen?“
    Fredrik verstummte. Eirin sah seine Bestürzung und fuhr fort:
    „Eines Vormittags an Deck küßtest du sie. Und du wähltest genau die gleichen Worte ihr gegenüber, die du eben zu mir sprachst, dieses Gefasel von dem Almosen und einer winzig kleinen Glücksstunde. Ich durchschaue dich jetzt, Fredrik. Du verbringst deine Zeit damit, jungen Mädchen den Kopf zu verdrehen, und du weißt genau, wie du es anstellst. Das da mit der Glücksstunde und dem Almosen hat eine verflixt gute Wirkung - wenn man es zum erstenmal hört. Aber beim zweitenmal wirkt es wie ein kalter Wasserstrahl. Ich war nahe daran, mich damals an Bord in dich zu verlieben, Fredrik. Jetzt bin ich geheilt. Ich bin fertig mit dir. Als wir uns in der Röntgenstation trafen und du mich nicht wiedererkanntest, faßte ich den Entschluß, mich an dir zu rächen. Das nächste Mal wollte ich diejenige sein, die vergaß, die sich durchaus nicht erinnern konnte, jemals einen Dr. Fredrik Branstad kennengelernt zu haben. Aber das ist jetzt unwichtig. Ich pfeife auf die Rache! Halfdan hat mich aufgegeben, und ich verdiene es - aber tausendmal lieber will ich für den Rest meines Lebens allein sein, als mich an einen notorischen Schürzenjäger zu binden!“
    Sie schritt zur Tür. Aber Fredrik hielt sie zurück. Er faßte ihre Hand.
    „Lise“, sagte er, „du hast in allem, was du sagst, recht. Du hast deine Rache bekommen. Wahr aber ist, daß ich dich liebhabe, Lise. Vergib mir, Lise - Eirin!“
    Er schickte sich an, ihre Hände zu küssen.
    Im nächsten Augenblick knallte die Tür hinter ihr zu, und Fredrik stand allein.
    Das Feuer im Kamin erlosch. Auf dem Tisch standen zwei halbgeleerte, vergoldete Mokkatassen und zwei Gläser mit einem Rest süßen Likörs -

22
    In dem Passagierflugzeug nach dem Süden waren alle Plätze besetzt. Ganz vorn saß ein junger Mann mit einem mageren, wettergebräunten Gesicht und lebhaften graublauen Augen. Der Mann sah aus, als könne er hart zupacken.
    Er hielt eine medizinische Zeitschrift in der Hand, versuchte zu lesen, gab es aber auf und sah vor sich hin. Wenn die Wolkendecke aufriß, schaute er aus dem Fenster. Und sein Blick glitt bewundernd über die lange, zerrissene Küste, die sich von Finnmarken bis zum Süden in wunderbarer Vielgestalt dahinzog. Was für ein schönes Land!
    Er lehnte sich in dem bequemen Sessel zurück. Es war wohl das erstemal seit Jahren, daß er so viele Stunden hintereinander in einem guten Sessel ganz still und glücklich saß.
    In Bergen verließ er das Flugzeug und nahm den Nachtzug nach Oslo.
    Der Zug lief früh ein. Der Mann bestellte sein Hotelzimmer und trank schnell einen Morgenkaffee. Seine Augen wanderten oft zur Uhr. Aber die
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