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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware
Autoren: Roger Aeschbacher
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dem Grunde seines Herzen kam. Selten – eigentlich nie – lachte er polternd oder gar schadenfreudig.
    Das einzig wirklich auffallende Merkmal an Andi Baumer waren seine Füße. Sie waren groß. Er selbst empfand sie sogar als riesig, überdimensioniert. Beim Kampf um das Büffet würden sie ihm nicht von Vorteil sein. Sowieso hatten ihn die anderen Touristen bereits in die Kategorie der ungefährlichen Hotelgäste eingeordnet. Es war offensichtlich, dass dieser Mann mit der starren Beinschiene kein ernsthafter Konkurrent um die besten Stücke sein würde.
    »Soll ich dir ein Tablett holen?«
    »Was?«, fragte Andi. Sein Blick war an einem Rentner in Shorts und Khakihemd hängen geblieben. Der starrte ihn unverhohlen über den Rand seiner goldgerandeten Lesebrille an, während er einen Zwieback in den Mund schob.
    »Soll ich dir helfen?«, suchte Anna seinen Blick.
    »Ja, danke«, murmelte Baumer und bewegte sich humpelnd vorwärts.
    Jetzt hatte auch die grauhaarige Frau, die bei der Lesebrille saß, ihren Zwieback mit bitterer Orangenmarmelade beschmiert und konnte sich wieder der Musterung des Mannes mit den Riesenfüßen hingeben. Ihre neugierigen Augen blieben wie Kletten am quallenweißen Pärchen hängen.
    »Das kann ja heiter werden«, begann sich der Kommissar ob seiner ungewollten Attraktivität zu ärgern. »Wäre ich doch nur in Basel geblieben«, dachte er. »Irgendein Mord passiert doch immer irgendwo.«
    Was er nicht zugab – vielleicht würde Maja ihn brauchen, gerade jetzt. Sie würde sicherlich an seiner Haustür läuten, wenn sie Schwierigkeiten hätte. Würde einfach dastehen, womöglich weinend, schluchzend. Jetzt, in diesem Moment. Jetzt! Und er wäre nicht da.
    Andi Baumer schüttelte sich, versuchte, seine Schultern zu lockern. Es gelang nicht.
    Vom Durchgang zur Küche kam die Bedienung auf die beiden zu. »Sie müsse sein die neue Gäste. Herzlich willkomme hier in Hotel Delphina. Ich bin Roswitha. Ich bin die Bedienung am Morge hier. Soll ich Sie erkläre?«
    »Ja, gerne, das ist nett von Ihnen«, antwortete Anna der Küchenhilfe, die – so nahm sie an – wahrscheinlich aus Portugal stammte. Die Frau sah den Portugiesinnen im Kantonsspital, die Anna von ihrer Arbeit her kannte, sehr ähnlich. Und sie sprach mit demselben Akzent.
    Roswitha hatte eine Zeitlang als Zimmermädchen in Zermatt gearbeitet, wie sie bereitwillig erzählte, als sie erfuhr, dass die neuen Gäste aus der Schweiz kamen. Freudig beteiligte sich Anna am Gespräch. Baumer interessierte sich hingegen zuallererst für den Kaffee. Er fragte sich, ob die schwarze Brühe überhaupt genießbar sein würde.
    Als hätte die Bedienung die Sorgen ihres Gastes geahnt, führte sie das Schweizer Paar zum Buffettisch mit den Getränken. »Hier Sie können Kaffee nehmen. Es hat bis 10 Uhr 30, immer frisch. Wenn Sie wolle, Sie können selber mache.«
    Baumer reckte sich sofort. »Selber Kaffee machen? Wie geht das?«
    Die Bedienung erklärte ihm die Prozedur. Es gab kupferne Kännchen, die man selbst mit Pulver füllen und aufkochen konnte.
    »Super!«, freute sich der Kommissar wie ein Kind. »Echter griechischer Kaffee. Das mache ich. Ich pfeife auf alle Mörder. Sollen die doch zu Hause machen, was sie wollen«, kam bei Andi das erste Mal so etwas wie echte Urlaubsstimmung auf. In Basel begann Baumer seinen Tag sonst meist mit einem Espresso bei Gianni im ilcaffè. Ein selbstgebrauter Griechenkaffee versprach Ablenkung von daheim bei fast genauso viel Freude.
    Baumer wollte seine Entzückung mit Anna teilen, doch die war bereits wieder mit der Küchenhilfe ins vergnügte Gespräch vertieft. Da wollte er nicht stören. Er war sowieso kein Plauderer. Zwar war er nett, höflich, durchaus interessiert an seinen Mitmenschen, aber er sprach selten ausgiebig mit den Leuten, beobachtete umso mehr. Warum immer reden? Es hört ja selten einer wirklich zu.

    *
    Später, als sie nach dem Frühstück noch am Esstisch saßen und die verschmierten Teller und das Besteck zur Seite geschoben hatten, legte Anna ihre Hand auf die von Baumer. So, wie sie es immer an seinem Spitalbett getan hatte, als er rekonvaleszent dalag, an Körper und Seele geknickt.
    »Was hast du Lust zu tun heute, Andi? Wollen wir baden gehen?«
    »Lust?«, dachte er. »Wozu habe ich wirklich Lust?«
    Prompt kam ihm Maja in den Sinn. Er sah Erinnerungsfetzen von glücklichen Momenten mit ihr wie im Schnelldurchlauf vorbeiziehen. Rasch zog er seine Hand aus Annas Griff zurück,
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