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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware
Autoren: Roger Aeschbacher
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verkrümmt im Bett, weil sich sein Oberkörper im Schlaf gedreht hatte, aber das geflickte Bein diese Bewegung nicht hatte mitmachen wollen. Auch getraute er sich noch nicht in größere Nähe zur Schlafenden neben ihm. Ihre Liebesbeziehung – war es eine? – war neu und vieles noch nicht selbstverständlich. Unbewusst hielt er selbst im tiefsten Schlummer einen Sicherheitsabstand ein. Auch daher hatte er in der Nacht keine erholsame Ruhe gefunden. Doch noch mehr hemmte ihn, dass er nicht von der Frau an seiner Seite geträumt hatte, sondern von Maja, seiner ewigen Liebe. Seiner verflossenen ewigen Liebe. Seiner verflossenen, ihn ewig quälenden Liebe.

    Maja.

    Maja. Warum mischte sich die zierliche Französin, mit der er nur wenige Jahre zusammen gewesen war, immer wieder in seine Träume? Sie hatte ihn vor Jahren verlassen und war doch unaufhörlich in seinem Körper, in seinem Wesen präsent – eine offene Wunde.
    Baumer lag in diesem viel zu harten, viel zu kleinen und viel zu engen Hotelbett in Kreta und konnte sich keinen Reim auf seine Gefühle machen.
    Er machte die Augen zu, wurde sogleich dösig und schlief doch nicht wieder ein. Er blieb gefangen zwischen Nacht und Tag.

    *
    Der Speisesaal war nur mäßig besucht. Frau Anna Helbling und Herr Andreas Baumer, Touristen aus der Schweiz, kamen im letzten Moment zum Frühstück. Begrüßt wurden sie von einem dominanten Geruch von getoastetem Weißbrot und starkem Kaffee, sowie einem Hauch von scharfem Putzmittel.
    Die blonde Frau und ihr Begleiter waren tief in der Nacht mit dem Nachtflug aus Basel-Mulhouse in Kreta gelandet und erst weit nach Mitternacht im Hotel eingetroffen. Die ganze Reise war spontan aufgegleist worden. Baumer hatte zuerst an der Idee gezweifelt, gemeinsam Urlaub zu machen, und hatte sogar einen Versuch gestartet, Anna davon abzubringen. Ich bin Kommissar und habe nie Ferien, vielleicht braucht es mich gerade jetzt, um ein Verbrechen zu verhindern. Das war sein Argument gewesen, aber seine neue Partnerin war stärker. Basel sei eine friedliche Stadt. Die könne ohne Probleme auf seinen Spürsinn verzichten, da es nichts aufzuspüren gab.
    Schließlich hatte Andi nachgegeben. Er mochte Anna und wusste, dass er kaum etwas zu verlieren hatte, wenn er der Reise zustimmen würde. Wer weiß, vielleicht würden gemeinsame Ferienerlebnisse die Zuneigung füreinander noch weiter wachsen lassen. Irgendwo tief in sich drin wünschte er sogar, dass sie einmal so eng miteinander stehen würden, dass nichts und niemand dazwischengepasst hätte, auch nicht die Erinnerung an seine kleine Maja. Wahrscheinlich hatte er deshalb prompt wieder von seiner Französin geträumt, ihrem bezaubernden Lächeln und ihren schwarzen Haaren, von ihrem Schmunzeln und den weichen Armen um seinen Hals. Von ihren Lippen. Ihren blutroten Lippen.
    Nach dieser zu kurzen Nacht standen sie jetzt im Durchgang zum Speisesaal und zogen alle Blicke auf sich. Anna, weil sie hübsch und selbstbewusst war. Baumer, weil er an Stöcken hinkte. Und alle beide, einfach weil sie neue Gäste waren und von den Anwesenden gemustert werden mussten. Zwei Personen, die sich zusätzlich am typisch kargen Büffet des griechischen Hotels bedienen würden, einem vielleicht das letzte Stück mageren Hinterschinkens streitig machen könnten.
    Baumer spürte die Blicke auf sich und fühlte sich unwohl. Sonst war er es, der die anderen musterte und bedrängte. Das Beobachten und Analysieren von Personen war sein Beruf. Das Klassieren von Menschen gehörte zu seinem Handwerkszeug, wie der Bolzenschneider zu Slavko, dem Einbrecherkönig von Basel-West. Nun war er es selbst, der untersucht und taxiert wurde.
    Der Kommissar war genau 1 Meter und 80 Zentimeter groß. Er schien hingegen kleiner als er für seine Größe hätte wirken müssen, denn an Krücken gehend, hielt er den Kopf oft gesenkt, wirkte in seiner Haltung wie geknickt. Da Baumer sehr sportlich war, sah man ihm den Mittvierziger nicht an. Er hatte Muskeln wie ein Zehnkämpfer, war also ein wohlgeformter Leichtathlet. Einzig seine Oberschenkel waren arg mächtig. Ein Überbleibsel aus seiner Zeit als Handballtorhüter beim RTV Basel. Andreas Baumers Gesichtszüge wiederum waren angenehm. Es war das typische Gesicht eines Durchschnittsschweizers, krude zusammengemischt aus latinischen und germanischen Zutaten; nicht unhübsch, Nase und Kinn schön gezeichnet, eher rund denn spitz. Wenn er lächelte, war es ein freundliches Lächeln, das aus
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