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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware
Autoren: Roger Aeschbacher
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einen Verweis von Labhardt, aber Anna war das egal.
    »Von mir aus können es alle wissen. Du gefällst mir, Andi.« Sie legte ihre filigrane Hand auf Andis Oberarm.
    »Hhm«, murmelte er.
    »Bitte, glaub mir. Ich wollte das tun. Ich mag dich wirklich sehr.« Sie lächelte. Ihre Augen leuchteten.
    Baumer lächelte auch.
    So waren sich die Pflegefachfrau Anna Helbling und Kriminalkommissar Andreas Baumer auch körperlich näher gekommen. Andi Baumer, ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und sich nicht wehren kann, nicht wehren will. Anna Helbling, eine Krankenschwester, die sich in einen Patienten verschaut hatte und mehr als ihre notwendige Pflicht tut – und erst noch gerne.

    Pflicht.

    Baumer war ebenso pflichtbewusst. Er war es immer. Auch jetzt auf Kreta, mitten in seinen Ferien. Erneut dachte er daher an Basel und wollte im Spiegelhof anrufen, dort, wo sein Büro war. Wollte hören, ob er irgendetwas wissen müsse. Ob irgendwas zu tun sei. Sein Wissen, sein Gespür würden vielleicht gerade jetzt dringend gebraucht werden. Vor allem spürte er ein leises Zucken in seinem Bauch, irgendwo zwischen Magen und Eingeweiden. Er nahm sein Mobiltelefon.
    »Andi!«, wurde Anna energisch.
    Rasch ließ er das Handy wieder sinken.

    *
    Am späteren Nachmittag lag Baumer mit Anna am Swimmingpool vom Hotel Delphina. Der zittrige Chlorgeruch vom Wasser und das nach Kokosnuss duftende Parfüm seiner Sonnencreme kämpften miteinander um die Luftherrschaft. Die Creme lag vorne.
    Anna und er waren sich einig, den ersten Ferientag ruhig anzugehen. Anna wollte nachholen, was sie beim anstrengenden Dienst im bläulich fahlen Kunstlicht des Spitals so sehr vermisste. Die Sonne genießen. Und sich bräunen, so intensiv wie möglich. Nun lag sie ausgestreckt auf einem der wenigen Liegestühle am Pool in der prallen Sonne.

    Anna.

    Sie war eine schöne Frau. Eine bezaubernde Frau. Andi genoss den Anblick des Körpers seiner Begleiterin. Ihre Proportionen waren wohlgeordnet. Ihre Haut war rein und faltenlos, fast wie bei einer Jugendlichen.
    Der rekonvaleszente Kommissar betrachtete diesen weiblichen Körper und fühlte sich wohl. Es war ein guter Mensch in seiner Nähe, der sich um ihn kümmerte und ihn gern hatte. Er konnte sich diesem Menschen mittlerweile sogar ein wenig öffnen, denn Anna bedrängte ihn kaum. Sie lag meistens neben ihm, und selbst wenn sie mehr körperliche Nähe suchte, packte sie ihn nicht grob und quetschte ihn nicht ein. Vor allem konnte er mit Anna vergessen.

    Vergessen.

    Maja vergessen. Ihre schwarzen Haare, ihre dunklen Augen, ihre schneeweißen Zähne im lachenden Mund, ihre …
    »Was denkst du?«, fragte seine Begleiterin plötzlich. Offenbar schlief sie doch nicht.
    Keine Antwort.
    »Andi?«
    Baumer schluckte schwer, antwortete jedoch nicht.
    Anna fasste an ihre Sonnenbrille, hob sie hoch.
    Der Kommissar sah es aus den Augenwinkeln. Er getraute sich jedoch nicht, Anna in die aufmerksamen blauen Augen zu schauen.
    Endlich brummelte er ein undeutliches »Was ist?« Er musste Zeit schinden, musste eine Entschuldigung finden. Er wollte Anna nichts Böses.
    Sein Handy rettete ihn. Es plärrte plötzlich los. Weil das Mobiltelefon bei Anna auf dem Beistelltischchen lag, nahm sie es und reichte es ihrem distanzierten Partner. Als sich ihre Blicke trafen, sagte sie ohne Wort, darüber sprechen wir noch.
    Andi errötete, war aber zugleich froh, dass das Klingeln ihn unterbrochen hatte. Während eines amtlichen Telefongesprächs – darum ging es ja wohl – wären seine Gedanken wieder gebunden, müsste er weniger über sich und die Welt nachdenken, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Und er bräuchte keine Antwort geben, die er selbst noch nicht kannte.
    Er blickte aufs Display und entdeckte, dass Stefan Heinzmann ihn zu erreichen versuchte. Sofort sah Baumer das Bild von Heinzmann vor sich. Das Bild zeigte einen Mann, ein wenig größer als der Durchschnitt, muskulös, schon fast stämmig, breite Schultern. Polizeiuniform. Auf dem Kopf die hohe Mütze eines Wachtmeisters Klasse 1, dem höchsten Mannschaftsdienstgrad der Basler Polizei; die Haare so kurz wie bei einem Polizeirekruten getrimmt, obwohl Heinzmann schon 47 Jahre alt war. Das Gesicht weder spitz noch rund, die Nase eher knubbelig. Die typische Schweizer Melange, nicht deutsch, nicht französisch, nicht italienisch – aber von allem ein bisschen. Wer Heinzmann sah, hätte zweifelsohne geglaubt, er wäre Baumers größerer Bruder.
    Stefan
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