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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware
Autoren: Roger Aeschbacher
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und verwünschte die ganze Welt.
    Er versuchte sie zu trösten. »Das tut mir leid. Das schmerzt sicher stark.«
    »Pfft! Schmerz? Das macht mir nichts!«, schnäuzte sie. »Aber ich kann nicht mehr braun werden«, schob sie ein bitteres Schluchzen hinterher. Das schmerzte deutlich mehr.
    Welche Qualen Frauen bereit sind, für ihre Schönheit auf sich zu nehmen, ging dem Kommissar durch den Kopf. Und wozu das alles? Der Mensch wird in Falten geboren, dann wird er größer, die Haut strafft sich für kurze Zeit. Kaum ist die Hülle glatt, geht man schon wieder ein, die Haut wird runzlig, fleckig, ledrig, man altert immer schneller. Warum das alles noch beschleunigen?
    Andi versuchte sie zu beruhigen. »Es wird schon wieder. So schlimm ist es doch nicht.«
    Das war die falsche Bemerkung.
    Sogleich ließ Anna ihren ganzen Frust über ihren Begleiter aus, beschuldigte ihn, sie nicht rechtzeitig gewarnt zu haben.
    Der ertrug die Anwürfe wie eine Morgendusche im Winter, wenn der Boiler verreckt ist und nur eiskaltes Wasser kommt. Anna ging es nicht gut, also hielt er hin, so gut es ging. Man muss sich duschen am Morgen, auch wenn man im kalten Wasserstrahl erfriert. Danach fühlt man sich wieder frisch.
    Andi richtete sich vorsichtig auf, denn sein rechtes Bein verzieh ihm heftige Bewegungen immer noch nicht. Er humpelte zu Anna hin, die sich vor den großen Spiegel gestellt hatte und abwechselnd ihren Rücken und ihr verweintes Gesicht inspizierte.
    Anna sah den wackligen Mann auf sich zukommen und machte reflexartig eine Bewegung auf ihn zu, um ihn zu stützen. Als sie das Gewicht von Andis rechtem Oberarm auf ihrer verbrannten Schulter spürte, kreischte sie auf und zuckte erschreckt zurück. Sofort knickte auch Andi ein und er bewegte sein lädiertes Bein ungeschickt. Prompt fuhr ihm ein böser Stich in den Oberschenkelknochen. »Aarrhh«, entfuhr auch ihm ein Schrei, als er sich verkrampft am Spiegeltisch festhielt.
    Beide wanden sich in ihrer Not. Mit verzerrtem Gesicht sogen sie die Luft ein und pressten sie wieder aus. Schnell, rhythmisch, bis der Höllenschmerz verflogen war.
    So standen sie da. Schauten sich an.
    Endlich mussten sie lachen.
    »Wir sind schon zwei Krüppel, du und ich«, gluckste Anna.
    Baumer lachte immer noch leise, aber sagte dann doch: »Nein, Anna. Ein Krüppel bin nur ich.«
    »Schau mich doch an«, antwortete sie traurig und drehte ihm ihren Rücken zu.
    Andi betrachtete die mit roter Farbe halb angemalte Figur. Er sah ihre entzückenden Formen von hinten. Und er sah im Spiegel den Körper zugleich von vorne. Er sah ihre perfekten Brüste, größer als Granny-Smith-Äpfel, aber kleiner als Honigmelonen. Er sah ihr vorwitziges Bäuchlein und den flauschigen Beginn der matten Schamhaare, die scharf vom Rand des Spiegelglases abgeschnitten wurden. Baumer sagte: »Ich sehe eine wunderhübsche Frau.«

    Anna sagte nichts.

    »Du bist schön«, wiederholte er.
    Die Frau mit den halblangen Haaren erwiderte wieder nichts, aber drehte sich zu Baumer und sah ihn erwartungsvoll an.
    Andi hielt dem Blick stand. Er erkannte, dass Anna mehr hören wollte. Dass sie schön sei und dass er sie gerne mochte. Dass sie die schönste Frau in seinem Leben sei und dass er ihre Art und ihr Wesen mochte. Dass er sie liebe. Ja, unendlich liebe. Dass er sie immer lieben werde. Anna. Meine Anna. Meine liebe, liebe Anna.

    Ich liebe dich.

    Andi Baumer sah in Annas Augen. Er spürte überdeutlich, auf welche Worte sie nun hoffte, jetzt, gerade jetzt. Aber er war noch nicht so weit. Er konnte einfach nichts reden, nichts tun. Noch nicht.

    Noch nicht?

    Er senkte den Blick.
    Wieder rettete ihn sein Handy, das in der Brusttasche seines kurzärmligen Designerhemdes zu plärren begann. Er schaute nach, wer anrief. Es war Stefan Heinzmann. Baumer wunderte sich. Stefan? Was ruft er mich nochmals an? Der Kommissar machte sich Gedanken, ob doch irgendetwas Wichtiges in Basel passiert war – gar etwas mit Helen Amadio-Meier?
    »Sali, Stefan«, nahm Baumer das Gespräch mit dem typisch baslerischen Gruß an.
    »Sali, Andi. Stör’ ich?«
    »Hhm.«
    »Sorry, dass ich dich anrufe. Aber ich bin ein bisschen beunruhigt.«
    »Was ist?«
    »Die Amadio.«
    »Was ist mit ihr?«, keimte ein winziger Samen der Unruhe in seinem Genick.
    »Wir haben doch abgemacht, dass ich …« Heinzmann unterbrach abrupt das Gespräch, er schien von irgendetwas abgelenkt zu sein. Durch den Lautsprecher in seinem Telefon hörte Baumer plötzlich nur
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