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Schweizer Ware

Schweizer Ware

Titel: Schweizer Ware
Autoren: Roger Aeschbacher
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noch Motorenlärm, diffuse Stimmen, eine quietschende Tram. Dann nahm Baumer die weit entfernte Beamtenstimme von Wachtmeister Heinzmann, Streifenpolizist in Basel, und immer im Dienst, wahr. »Haben Sie kein Licht, Monsieur le Velofahrer?« Und von noch weiter her kam die blubbernde Stimme des ertappten Fahrradfahrers, »Hoppla, glatt vergessen, den Dynamo anzumachen.« Dann knisterte und wuschelte es in der Leitung und der Wachtmeister war erneut deutlich zu verstehen. »Ich habe die Amadio angerufen. Sie nimmt nicht ab.«
    Andreas Baumer, Kommissar aus Basel, zurzeit in Kreta in den Ferien, sagte nichts.
    »Du, das ist doch merkwürdig mit der Amadio«, insistierte Heinzmann.
    Baumer sah das auch so. Die alte Rentnerin war keine Frau, die einsam und allein war und über irgendwelche Telefonate Aufmerksamkeit suchte. Das brauchte sie nicht. Der Kommissar wusste, dass sie viele Freunde hatte. Als sie ihn im Spital besucht hatte, hatte sie ihm erzählt, dass sie so viele Leute kenne, dass sie dauernd jemanden im Spital besuchen müsse. Frau Amadio-Meier war ihm als zufrieden mit sich selbst und der Welt vorgekommen. Warum bloß hatte sie ihn so dringend sprechen wollen? Warum war sie jetzt, am Abend, nicht zu erreichen, wo man sie zurückrufen wollte?
    Etwas war nicht in Ordnung. Das spürte Andreas Baumer, Kriminalkommissar seit vielen Jahren und durchaus mit einem feinen Gespür für Gefahr ausgestattet. Dieses Gespür manifestierte sich als eine unsichtbare Kraft, die ihm ganz sanft auf die Kehle drückte. Es war dasselbe Gefühl, wie wenn man eine zu enge schwere Kette um seinen Hals gelegt hat, die nun auf die Kuhle zwischen Adamsapfel und Brustbein drückt. Sie würgt noch nicht, aber beklemmt in mehr als unangenehmer Weise.
    Der Kommissar fragte sich, ob Heinzmann überhaupt nachdrücklich versucht hatte, mit der alten Frau Kontakt aufzunehmen.
    »Ich habe es vier Mal versucht. Jetzt ist es acht Uhr und sie nimmt immer noch nicht ab«, sagte Heinzmann, noch bevor Baumer die entsprechende Frage gestellt hatte. Dann fügte der Wachtmeister an: »Ich fahre gleich mal hin, Andi. Wahrscheinlich nimmt sie nicht ab, weil sie das Telefon nicht hört.«
    »Das glaub ich nicht. Sie wartet auf einen Rückruf.«
    »Vielleicht ist sie halbtaub und hört das Läuten einfach nicht.«
    »Helen Amadio-Meier ist nicht halbtaub.«
    »Ich weiß, Andi«, antwortete Stefan mit gedämpfter Stimme. Er schnaufte tief ein und blies die Luft dann scharf und gepresst durch seine Nase aus.
    Als sie sich verabschiedet hatten, beendete Baumer das Gespräch und war wieder im Hotelzimmer in Kreta. Er sah auf Anna hinab. Die saß aufrecht auf dem Bett, hatte den Blick immer noch nicht von ihm abgewendet. Ihre Augen sagten: Andi, bitte sag mir, dass du mich mehr als gern hast.
    Er schaute sie an, wollte genau das sagen. Er konnte nicht.
    Schließlich murmelte er: »Ich gehe Joghurt Nature holen. Das ist das beste Mittel gegen Sonnenbrand.«

    *
    Eine Viertelstunde nach dem Telefonat mit seinem Freund in Kreta bog Stefan Heinzmann, Basler Polizeiwachtmeister in Uniform, in die Rotbergerstraße ein. Neben ihm im schweren Streifenwagen saß sein Patrouillenkamerad, der Gefreite Meier.
    »Welche Nummer?«, fragte Meier, der seinem Vorgesetzten bei der Suche nach dem Hauseingang behilflich sein wollte.
    Heinzmann beugte sich über das Steuerrad und blickte mit schiefem Mund zu den Häuserfassaden hoch. »Hier, das rote Haus ist es.«
    Der Wachtmeister stoppte den Wagen direkt auf der Höhe des Eingangs und blieb neben einer Kolonne von geparkten Autos stehen. Einen Parkplatz zu suchen, hätte zu viel Zeit in diesem Wohnquartier gebraucht. Zugleich wäre es sinnlos gewesen. Um diese Abendzeit standen die Parkzonen bis über den Rand gefüllt mit Autos. Die meisten gehörten Basler Pendlern, die am Morgen nach Zürich fuhren, in diese große, internationale Stadt, um das schöne Geld zu verdienen. Vielleicht waren viele Einwohner dieser Stadt deshalb immer so aggressiv gegen Zürich eingestellt.
    »Du wartest hier!«, befahl Heinzmann seinem Kollegen von der Streife. Platz war genug auf der Straße, so dass Autos hätten kreuzen können, aber vielleicht kam ja der Besitzer eines Wagens, den er zugeparkt hatte. Dann müsste er den Platz frei machen, falls einer in der 24-Stunden-Tankstelle Zigaretten holen müsste oder ein Pornoheftchen für die Nacht.
    »Okay«, akzeptierte Meier seine Aufgabe, beim Wagen zu bleiben. Er stieg aber wie sein
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