Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzes Prisma

Schwarzes Prisma

Titel: Schwarzes Prisma
Autoren: Brent Weeks
Vom Netzwerk:
den Dolch wegzulegen, und mit seiner bandagierten linken Hand befingerte er sie und ließ sie verkehrt herum auf seinen Schoß fallen. Er drehte die Schatulle um und sah, dass sich das Seidenfutter gelöst hatte; es war nicht an der Schatulle selbst befestigt, sondern an einem Rahmen, mit dem die Schatulle gefüllt war. Er zog den Rahmen heraus. Darunter befand sich ein kleines Fach mit zusätzlichen Bändern in der Farbe der Scheide, um sie an verschieden breiten Gürteln zu befestigen. Es war kein Geheimfach, aber offensichtlich hatte Zymun es nicht bemerkt, ebenso wenig wie König Garadul, denn dort befand sich ein Brief.
    Mit einiger Furcht und einem Blick in Richtung Tür, um sich davon zu überzeugen, dass niemand kam, las Kip den Brief in der Schrift seiner Mutter: »Kip, geh zur Chromeria und töte den Mann, der mich vergewaltigt und mir alles genommen hat, was ich hatte. Hör nicht auf seine Lügen. Schwöre, dass du mich nicht enttäuschen wirst. Wenn du mich je geliebt hast, wenn du jemals in dieser Welt etwas Gutes tun wolltest, benutze diesen Dolch, um deinen Vater zu töten. Töte Gavin Guile.«
    Gavin fühlte sich erstarrt, gelähmt. Irgendjemand belog ihn, betrog ihn. Kip spürte diese tiefen, saugenden Teiche des Zorns, die sich in ihm regten. Es musste seine Mutter sein. Süchtige. Hure. Lügnerin. Kips Mutter hatte für Nebel gelogen, sie hatte Kip nichts Gutes getan. Gavin war hart zu ihm gewesen, aber er hatte ihn nie belogen. Er würde ihn niemals belügen. Niemals. Er war Kips Familie. Die erste Familie, die Kip je gehabt hatte.
    Aber seine Mutter hatte den Dolch aufbewahrt und sogar die Schatulle. Sie hätte beides für einen Berg von Nebel verkaufen können. Sie musste jedes Mal daran gedacht haben, wenn der Wahnsinn des Verlangens sie im Griff hielt. Wenn dies für sie wichtiger gewesen war als Nebel, warum sollte sie dann lügen?
    Kip schauderte und fühlte sich, als würde er aus seinen Verankerungen gerissen. Er kannte die Wahrheit nicht. Aber er würde sie in Erfahrung bringen. Er schwor es sich.
    Er faltete den Brief zusammen und sah einige schnell hingekritzelte Worte auf der Rückseite, die ihm zuvor entgangen waren. Sie waren lockerer und schneller geschrieben als der Rest, aber unleugbar stammten sie ebenfalls von der Hand seiner Mutter: »Ich liebe dich, Kip. Ich habe dich immer geliebt.« Sie hatte diese Worte niemals ausgesprochen. Kein einziges Mal. In seinem ganzen Leben nicht.
    Er warf den Brief weg, als sei er eine Schlange. Drückte das Gesicht in die Decke, damit niemand etwas hörte. Und weinte.

94
    Der Gefangene kroch durch die Dunkelheit. Dies war Tod, aber irgendwo am Ende lag Leben. Der Boden war scharf und schnitt ihm grausam Hände und Knie auf. Er hatte so viel rotes Luxin wie möglich aufgesaugt, bevor er die blaue Zelle verlassen hatte, und wenn er kein Fieber gehabt hätte, hätte er eine Flamme am Leben erhalten, aber seine Gedanken waren noch immer träge, dumm. Er konnte nichts anderes tun, als an seiner Wut festzuhalten, und das Rot hatte ihm zu Anfang dabei geholfen.
    Ich werde meine Rache haben, dachte er, aber es war ein leidenschaftsloser Gedanke. Da war nur der Schmerz in seinen Händen und Knien und das Kriechen. Er weigerte sich innezuhalten. Der Tunnel hatte wieder und wieder eine Biegung gemacht, aber er konnte nicht für immer weiterkriechen. Schon bald würde er schlafen und entweder sterben oder gestärkt erwachen. Stark genug, um seine Kraft zu sammeln und seinen Bruder zu stürzen. Er lachte schwach und kroch weiter.
    Verdammt sei dieser scharfe Stein. Was hatte sein Bruder getan? Sein Gefängnis aus purem Höllenstein gemeißelt?
    Hurensohn, das war genau das, was er getan hatte. Er hatte ein Vermögen ausgegeben, einfach um ihn zu zerschneiden. Der hassenswerte Bastard. Aber so leicht war er nicht aufzuhalten. Er kroch weiter. So leicht würde ihm die Freiheit nicht verwehrt werden.
    Trotzdem, Obsidian war so selten, dass die Ausfütterung eines ganzen Tunnels damit Gavin mehr gekostet haben würde, als die Familie Guile in einem Jahr verdiente. Warum sollte sein Bruder etwas Derartiges getan haben? Die magischen Eigenschaften von Obsidian bedeuteten, dass es in absoluter Dunkelheit und mit einer direkten Verbindung – zum Beispiel durch Blut oder eine offene Schnittwunde – das Luxin aus einem Wandler ziehen konnte. Kein Wunder, dass das rote Luxin Dazen nicht half, länger Hass zu empfinden. Es war bereits aus ihm herausgezogen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher