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Schwarzer, Wolf, Skin

Schwarzer, Wolf, Skin

Titel: Schwarzer, Wolf, Skin
Autoren: Marie Hagemann
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stand auf. Ich ging. Ich rannte.

20
     
     
     
    Warum ich doch noch zu Andy gegangen bin? Danach. Weiß ich nicht. Warum wir nie drüber geredet haben? Weiß ich nicht. Warum Andy mitkam zu Rudolf Heß’ Todestag? Weiß ich auch nicht.
     
     
    Am 17. August wollten Scheuerer und der alte Motte mit uns zusammen feiern. Das war der Todestag von Heß. Es gab ‘ne öffentliche Sache in Wunsiedel, vielleicht würden wir sogar gemeinsam dahin fahren, zu seinem Grab. Scheuerer und auch Dolf hatten gesagt, es sollte eine totale Überraschung geben an dem Abend.
    Dolfs Vater hatte ‘ne Menge erzählt vom alten Heß. Das wäre ein Vorbild, sagte er. Der hätte immer zu Hitler gestanden. Treu und ergeben. Und solche Vorbilder brauche die Jugend von heute. Vor allem in unserer Zeit, wo man den Politikern doch kaum noch glauben könne. Heß und Konsorten, das seien noch Persönlichkeiten gewesen: treu, gewissenhaft, diszipliniert.
    »In unserer verrückten Welt findet man sich doch nur noch zurecht, wenn man an das Ganze denkt«, hatte Scheuerer gesagt. »Und das Ganze, das ist unser Kampf, für uns und für unser Volk. Das Volksempfinden.«
     
     
    Erst haben wir richtig gemütlich zusammengesessen. Nicht nur wir Skins. Die beiden Alten hatten auch ihre Jungs mitgebracht. Wir hatten ein Lagerfeuer an einem Bauernhof, und wir hatten Bier und haben Lieder gesungen. Das tat gut. Die Gemeinschaft. Auch die Lieder. »Flamme empor«. Wer nicht weiß, was man da fühlt, wenn man so in der Gemeinschaft singt, der soll das mal mitmachen.
    Einige Reden sind gehalten worden. Über Heß und daß er ein Vorbild wäre für uns und auch ein Märtyrer. Er sei von den Briten umgebracht worden. Wir tranken viele kleine Fäßchen mit Bier. Und auch Scharfes.
    »Wie geht es weiter in Deutschland?« fragte Scheuerer und nahm einen Schluck. »Scheinasylanten, Straßenbanden, Ausverkauf! Und Ordnung, wo ist die?«
    Der Bauer war auch ein Nazi. Der hat kräftig mitgemischt. Der hat gesagt, Deutschland könne stolz sein, solche Jungs wie uns zu haben. Das sei die Jugend, aus der man noch etwas formen könne. Und dann hat er ein Spanferkel springen lassen. Schmatz, schmatz. Das war lecker. So’n kleines Schweinchen. Wir kamen ja nun wirklich nicht aus den ersten Häusern. Deswegen war das echt super. Wir haben gesungen, haben Fackeln getragen und sind in der Dunkelheit hintereinanderher weitergezogen.
    Ich war echt weg. »Solche Augenblicke«, hab ich zu Andy gesagt, »die nimmst du wirklich mit in die Ewigkeit.«
    Andy hat genickt. Er war schmal und blaß. Er sprach nicht viel. Seit seiner Krankheit.

21
     
     
     
    Am Weg lag ein Heim. Asylanten. Das wußte Scheuerer. »Rein zufällig«, sagte er. Und seine Jungs hatten auch was bei sich. Ebenfalls rein zufällig. Und das sei sicher auch im Sinne von Heß.
    Und dann haben sie es abgeworfen: dieses Etwas, das sie bei sich hatten. Einen Molotowcocktail. In das Heim. Ins Fenster.
    »Selbstgebastelt«, sagte der Alte. »Tüchtige Jungs.«
    Es hat einen schrecklichen Knall gegeben. Die meisten haben gelacht. Irgendwie kitzelt das innendrin. Diese kleinen Massaker an Hilflosen. Ich glaube, ich hab nicht gelacht. Und der Andy stand hinten. Stumm.
    Da ist vorne die Haustür aufgegangen, und dunkle Gestalten in Schlafanzügen sprangen heraus. Aber Scheuerer und seine Jungs versuchten, sie zurückzudrängen in das brennende Haus.
    »Hinein in den Ofen!« schrie Scheuerer. »Habt euch hier schon genug Fett angefressen!« Und er lachte sich kaputt über seinen Witz. »Flamme empor!« schrie er, aber es ging im Lärm unter.
    Es kamen auch welche von hinten um das Haus herumgerannt. Da war noch ein Ausgang. Auch die schrien. Hielten die Hände hoch.
    Ich hab das alles nicht mehr überblickt. Aus dem Fenster schlugen Flammen. Die Jungs haben noch etwas geworfen. Das hab ich genau gesehen.
    Und dann haben Scheuerer und die Kameraden sich davongemacht. Der alte Motte auch. Die kannten den Weg.
    Das war doch alles geplant!
    Wir wollten hinterher, standen aber ein bißchen verloren, wußten auch den Weg nicht.
    Fried und Kühler haben immer wieder versucht, die Asylanten in ihr Heim zu drängen. Das Heim brannte. Die Leute waren jetzt fast alle draußen. Alles ging furchtbar schnell. Auf einmal ertönte die Feuerwehrsirene. Und Polizei kam.
    Und ich? Ich hab immer noch wie angewurzelt dagestanden. Das Haus war nicht groß. Aus den drei Fenstern unten schlugen Flammen. Dazwischen war die Tür, da war noch
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