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Schwarzer, Wolf, Skin

Schwarzer, Wolf, Skin

Titel: Schwarzer, Wolf, Skin
Autoren: Marie Hagemann
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die ganze Menschheit kurzerhand auf den Kopf und sagt, das war immer so. Und die, die etwa behaupten wollen, sie hätten bislang auf den Füßen gestanden, die werden um eben diesen Kopf kürzer gemacht. Die braucht man nicht mehr. Die Köpfe können rollen. Denken ist nicht angesagt: Man braucht nur welche, die glauben.« Er schaute mich an. »Da mußt du ja sogar lachen!«
    Aber ich lachte nur aus Verlegenheit. Ich wußte nichts anderes. War Andy am Spinnen? Wer hatte ihm diese Flöhe ins Ohr gesetzt? Sein Vater? Das waren nicht nur Andys Worte! War er auf einmal total links? Oder hatte er etwa immer so gedacht und mich nur auf den Arm genommen? Hatte er wieder Fieber? Ich wußte nichts mehr, nichts. Fragen. Zweifel. Schwindel. Wut.
    Und Andy machte weiter mit dem Trommelfeuer. Wie ein Trommelfeuer prasselten die Worte in den Raum. Und die Schritte. Die Kreise, die er zog. Um mich herum.
    »Warum saufen wir? Weil die Welt sonst zu schwarz ist. Beim Saufen wird sie ein bißchen bunt. Und die Angst geht unter beim Saufen. Saufen bringt Farbe. Saufen macht stark. Saufen gibt Zusammenhalt. Echt! Aber nur soviel, daß man den Feind zusammenschlagen kann.«
    Machte er sich lustig? Lustig über uns? Ich sprang auf. Ich rannte herum. Weil es jetzt auch bei mir drin rumorte. Fragen. Vorwürfe. Wut.
    Sollte ich einfach mal auf ihn drauf? Das wäre das einfachste: schlagen, k. o. schlagen. Dann würde er endlich den Mund halten. Aber meine Fäuste fielen auf einmal schlaff herunter. Was brachte es? Was brachte Gewalt? Ich wollte sprechen. Aber ich hatte keine Worte. Nur Fäuste. Und die waren müde. Die waren schlaff von Andys Fragen. Und die bohrten. Die besetzten mein Hirn. Ich fühlte mich elend. Die Fragen machten mich wütend. Elend wütend.
    Vielleicht sollte ich einfach gehen. Sollte ich mir das bieten lassen? So einen Ausbruch? Wer bin ich denn? Sollte ich mir mein Weltbild zerreißen lassen? Wer war ich? Ich sah im Spiegel mein Label: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. War ich das wirklich? Stolz? Ein Deutscher? Ich weiß doch gar nicht, was das ist.
    Aber Andy redete weiter. Leiser jetzt. Als wollte er noch etwas erklären. Als sei es geschafft.
    Er saß auf dem Bett. Er wirkte müde. Gespannt. Er schaute mich an. »Motte und Scheuerer waren doch die ersten, bei denen wir wütend sein durften. Wir alle rannten herum mit unserer Wut im Bauch. Mit dem Haß, den keiner wollte. Und keiner wollte ihn wahrnehmen. Aber die, die brauchten ihn endlich. Die Mottes, die Scheuerers. Die brauchten unsern Haß. Den Rassenhaß gegen Kanaken, Juden und Neger. Den brauchen sie für ihr Weltbild. Wenn die Kanaken und Juden nämlich unten sind, dann sind wir oben. So teilt man die Welt auf. Praktisch, sehr praktisch.
    Und wir selbst, was ist mit uns? Mit unserm kleinen gebrannten Ich? Der Haß auf die Neger und die Kanaken wirkt da wie Balsam! Dieses Ich ist jetzt wer. Auf einmal ein Herrenmensch. Man braucht jeden von dieser edlen Rasse der Herrenmenschen. Egal, wie er aussieht: Quadratschädel, Stiernacken, Plattnase, Bullenkopf. Er darf nur nicht denken und zweifeln. Draußen guckt jeder runter auf ihn und sagt: ›Skin, was ist schon ein Skin! Niedrigste Schublade. Angstmacher.‹«
    Andy atmete einmal durch. »Spießer«, sagte er, »Spießer sind sie doch alle. Spießer, die nur die alte Ordnung wollen, weil sie Angst haben vor jeder anderen neuen. Aber wehe, einer von den Jungs tut mal etwas, was nicht befohlen ist! Wehe, er entscheidet sich selbst! Wehe, er denkt! Er darf nur glauben und blind sein. Das nennt man gesundes Volksempfinden. Nicken und die Schnauze halten. Punkt.«
    Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich rannte raus, knallte die Tür zu. Rannte weg. Ich hielt mir die Ohren zu. Rannte durch die Stadt. Immer rund und rund.
    Ich ging zum Bunker. Da war Kameradschaftsabend. Aus dem Lautsprecher tönten Führerworte: Wir müssen sie formen wie Wachs, auskochen im Schmelztiegel, die schädlichen Elemente brutal ausmerzen … Da war Musik drin, in diesen Worten. Dazwischen dröhnten Andys Worte in meinem Kopf: »Du sollst nicht töten.« Kritik ist Nestbeschmutzung. Das gesunde Volksempfinden muß sprechen. Wir müssen eine Festung sein. Dazwischen der Andy: »Man stellt die Menschheit kurzerhand auf den Kopf. Man braucht nur welche, die glauben…« Dann wieder: Das gesunde Volksempfinden… Dagegen Andy: »Spießer sind sie, Spießer!« Die Stimme bohrte, hämmerte, schrie, sprach wieder leise. Innen und außen. Ich
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