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Schwarzer, Wolf, Skin

Schwarzer, Wolf, Skin

Titel: Schwarzer, Wolf, Skin
Autoren: Marie Hagemann
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Sprechen, Saufen, Reden aus dem Lautsprecher. Als Fried schon halb blau war, wollte er Andy Schnaps einflößen. Da hab ich endgültig beschlossen, Andys Vater anzurufen.
    Er wollte ihn sofort zu sich holen. Aber wie? Wenn ich unsern Bunker verraten hätte, hätten die mich glatt kaltgemacht. Echt. Das war mir sonnenklar. Mensch, hatte ich Angst. Aber sonst wäre Andy draufgegangen. Und er war mein Freund. Ich hatte noch nie so einen Freund gehabt.
    Dem Alten wurde es dann wohl bewußt, und er brachte ein paar Aspirin mit. Doch was sind ein paar Aspirin? »Wird schon wieder«, sagte er. Das war alles.
    Die andern ließ das alles kalt. Sie hatten ja nichts. Sie waren ja gesund. Jeder ist sich selbst am nächsten. Und wenn’s dir schlechtgeht, bist du ein armes Schwein.
    Fried stellte sich vor Andy und furzte ihm mitten ins Gesicht. »Frische Landluft«, sagte er. Grinste. Zog seinen Kaugummi lang und polterte mich an, ich solle mich nicht so haben.
    Ich hab die Schnauze gehalten. War wohl auch gut so.
    Andys Vater und ich haben uns auf Taxi geeinigt. Ich hab den Andy die Treppe raufgeschleppt wie ein kleines Kind. Manchmal dachte ich schon, er wäre hopps, aber er war warm und atmete. Ich mußte ihn noch eine Ecke weiter schleppen, damit unsere Adresse geheim blieb. Das war schwer. Und die Leute guckten. Ist ja auch ein Bild, wenn du ‘nen Skin auf dem Arm rumschleppst.
    Danach ging alles schnell: Taxi – Bett – Arzt – Lungenentzündung.
    Ich hätte Andy gerettet, sagte der Arzt. War ein Freund von Andys Vater. Kam zweimal am Tag. Wir haben ihn nicht allein gelassen. Andys Vater und ich haben uns abgewechselt.

19
     
     
     
    Es dauerte. Andy kam langsam wieder zu sich. Tage waren vergangen.
    Plötzlich platzte es aus ihm heraus. Andy warf sich auf sein Kopfkissen und weinte. Ich wußte echt nicht, was war. So etwas macht mich total hilflos. Vor allem, wenn ein Junge weint. Ich hab also nichts gemacht, nur geguckt. Und dann plötzlich richtete er sich auf und schleuderte mir Sätze entgegen:
    »Wir haben einen umgebracht. Wir haben ihn getötet!« schrie er.
    »Wen haben wir denn umgebracht?« fragte ich. Das mit dem Türken war schon so halb aus meinem Kopf raus.
    »Den Türken«, sagte er.
    »War doch nur ein Türke«, sagte ich.
    »Nur ein Türke, nur ein Türke. So ein Schwachsinn! Ein Türke ist ein Mensch. Genau wie du und ich und Fried und Scheuerer. Du sollst nicht töten«, sagte er. »Gilt das denn nicht für Türken?« Er machte eine Pause. »Warum gibt es bei uns Übermenschen und Untermenschen? Warum hat der Übermensch immer recht? Warum hat er das Recht, einen andern plattzumachen, nur weil ihm die Nase oder die Hautfarbe nicht paßt? Warum wirft der Alte uns Ideologiebrocken an den Kopf? Und den Rest, den macht der Führer. Aber der Führer kann machen, was er will. Der hat immer recht. Ganz nach Belieben. Und warum müssen wir immer wie ein Mann dastehen, dürfen nicht fragen und zweifeln?«
    Er hörte immer noch nicht auf. Was war mit Andy?
    Andy trommelte mit den Fäusten aufs Bett. Ich versuchte zu antworten, aber mir fiel nichts anderes ein als: »War doch nur ein Türke, das war doch kein Mord.«
    »Du bist vielleicht witzig«, sagte Andy. Er lachte. Er lachte böse und rauh. »Nur weil du sagst, der Türke ist ein Untermensch, kannst du den doch nicht kaputtmachen! Du mußt nur dem, dem du was tust, die Schuld zuschieben. Dann hast du keine Schuld. Praktisch ist das, sehr praktisch!«
    »Leg dich wieder hin, Andy«, sagte ich. »Du sollst dich doch nicht anstrengen.« Was anderes fiel mir nicht ein.
    Doch er machte weiter. Er hörte nicht auf. Er hörte auch nicht zu. Er redete weiter und weiter. So, als hätte ihn jemand aufgezogen. Als liefe ein Uhrwerk ab.
    Ich schaute zur Decke. Ich schaute mich um. Ich schaute auf den Boden. Die Unruhe ging auf mich über. Sie schwappte herüber wie eine Welle. Ich wollte weg.
    Andy merkte das. Er sprang aus dem Bett und lief auf und ab, schließlich immer um mich herum, als wolle er mich einkreisen.
    »Warum sind wir so brutal und primitiv? Warum?« Er redete weiter, lief immer um mich herum. »Wir machen uns zu Herrenmenschen. Wir sagen einfach, wir sind die Größten, die Besten, die Edelsten, und schon…« Er blieb stehen. Er schaute mich an. Er fixierte mich. »Und schon haben wir das Recht, die andern zu töten. Praktisch ist das. Wirklich praktisch!«
    Jetzt lief er weiter in großem Bogen um den Tisch. Wieder um mich herum.
    »Man stellt
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