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Schwarzer, Wolf, Skin

Schwarzer, Wolf, Skin

Titel: Schwarzer, Wolf, Skin
Autoren: Marie Hagemann
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ist Geld da, aber nicht für Schüler und Jugendliche. Wer kümmert sich denn um uns?«
    Der Vater sagte nichts.
    »Siehste«, sagte Andy, »und die Rechten kümmern sich, die stellen uns einen Raum zur Verfügung, die haben Zeit. Und Führer sind da und Ordnung. Scheiß auf eure verdammte Freiheit!« Er grinste. »Ich hab noch ‘ne Rede. Vom Allerfeinsten.« Er las vor:
    Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend. Am liebsten ließe ich sie nur das lernen, was sie ihrem Spieltriebe folgend sich freiwillig aneignen. Aber Beherrschung müssen sie lernen. Sie sollen mir in den schwierigsten Proben die Todesfurcht besiegen lernen.
    Jetzt war ich echt gespannt. Als wir das beim Kameradschaftsabend besprochen hatten, hatte Andy nämlich gesagt: »Das ist doch Mist. Der Hitler wollte nur verhindern, daß wir denken lernen.« Da hatte es fast eine Prügelei gegeben.
    Und jetzt das. Ich wurde aus dem Andy nicht schlau. Was wollte der denn? Er ging zum Kassettenrecorder und schob eine Kassette rein:
     
    Ja, eines Tages, da wacht ihr alle auf.
    Rettet die Rasse, die man einst verkauft
    Ich weiß, in jedem Deutschen, da steckt ein Mann,
    der das Verderben noch verhindern kann.
     
    Der Vater reagierte ziemlich heftig: »Findest du das in Ordnung? Das ist doch verdammt verkürzt! Da fehlt doch ein Stück. Einfach ein Stück rausgeschnitten, damit jeder mit johlen kann! Es wird alles überschaubar gemacht, für die Doofen!«
    »Die Deutschen sind besser, die sind die Herrenrasse. Germanen!« Andy schmatzte und machte eine dicke Blase mit dem Kaugummi. »Geil, was?«
    Da rannte der Vater raus.
    »Bei dem ist auch was verkürzt.« Andy zog wieder cool an seinem Kaugummi. »Ich glaub, wir können gehn«, sagte er. Nahm sich noch Wurst und Käse und zwei Flaschen Bier. Dann sprühte er dem Vater ein Hakenkreuz auf den Teppichboden. »Zum Andenken«, sagte Andy.
    »Jetzt haste meinen Alten mal erlebt. Verkürzt.« Er lachte. »Da müssen noch viele verkürzt werden!«
    »Ich fand ihn ziemlich gut, deinen Vater«, sagte ich. »Echt, wenn er auch links ist, was solls? Der ist doch nicht verkehrt. Der nimmt sich wenigstens Zeit. Du hast wenigstens einen Vater zum Reden«, sagte ich.
    Aber Andy hörte gar nicht zu. Er rutschte das Treppengeländer runter, sang das Deutschlandlied, erste Strophe:… von der Maas bis an die Memel…

15
     
     
     
    »Eigentlich wollte ich ja was ganz anderes«, sagte Andy, als wir uns zusammen auf eine Bank gesetzt hatten. »Eigentlich wollte ich wieder bei ihm einziehen. Aber wenn ich den schon sehe, ist der Krach da. Der reizt mich, wenn er nur den Mund aufmacht. Da kann man doch nur Hilfe schreien und wegrennen. – Hast du noch ‘ne Zigarette für mich?«
    Wir steckten uns die beiden letzten an. Wir rauchten selten. Wir schauten hoch in die Bäume.
    »Schön, was?« Andy zeigte rauf.
    »Was?« hab ich gefragt.
    »Ach, nur so«, sagte Andy. Aber er hatte sicher die Bäume gemeint und die Blätter; die Wolken. Aber mit mir hatte sich noch keiner über Blätter und Wolken unterhalten.
    Ich beneidete Andy. Der hatte einen Vater.
    Wir redeten weiter. Ich stand inzwischen wirklich voll auf der rechten Seite. War ganz sicher auf einmal. Alle brauchten mich. Ich war wichtig. Aber vielleicht tat es mir auch einfach gut, mal Mittelpunkt zu sein: Für Andy war ich wichtig. Für Scheuerer war ich wichtig. Für meine Mutter war ich wichtig. Auch mit den andern Skins stand ich gut, war auch öfter noch im Bunker oder auch am Bahnhof mal einen saufen. Und das mit Herrenmenschen, Ausländern, Deutschtum und daß die Juden die Welt versauen, das war alles voll logo für mich. Die Ausländer haßte ich schon immer. Den Haß hatte ich schon in der Schule. Guck dich doch mal am Bahnhof um! Oder guck dich mal um, wenn du ‘ne Arbeitsstelle suchst oder ‘ne Wohnung! Überall triffst du auf das Gesocks, und dir sagen sie: Leider nein! Und dann sollste keine Wut kriegen? Ehrlich.
    »Mein Vater hat versucht, mir das alles auszureden«, sagte Andy. »Auch meinen Haß. Der meinte, das sei doch viel zu kurz gedacht.«
    »Wieso zu kurz gedacht?« hab ich gefragt.
    »So ganz richtig weiß ich das nicht mehr.« Andy kratzte sich am Kopf, schoß mit dem Fuß ein Steinchen weg, spuckte den Kaugummi aus. »Nein«, sagte er, »ich weiß es nur noch so halb, was er gesagt hat: Erstens haben wir uns die Ausländer geholt, zweitens nehmen sie uns ja gar nicht unsere Stellen weg. Was willst du mit
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