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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz
Autoren: Tanith Lee
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betrachtete sich in dem Flügelspiegel, ihre straffen Brüste inmitten der Hecke aus Lilien, der sengenden Sonne und den Schwalben.
    Wer bin ich?
    Sie wusste es nicht. Sie sah sich selbst als eine Fremde, wunderschön und weit entfernt. So lange Zeit hatte sie nun die Gesichter der anderen betrachtet, dass sie ihr eigenes darüber vergessen hatte.
    Es wäre ein Leichtes, fortzugehen, und sie sich selbst zu überlassen. Doch sie würden immer mit ihr reisen.
    Sie konnte Ruth nicht alleinlassen, das arme, irrsinnige kleine Tier, das zwischen ihren Riten und Zeremonien gefangen war, wo sogar Mord seinen eigenen rituellen Platz erhielt. Rachaela lief in die Küche hinunter.
    Cheta und Maria schrubbten Töpfe; Michael saß am Tisch und polierte mechanisch das Silber.
    » Michael, ich muss Adamus sehen. Du musst mich in den Turm lassen.«
    » Wenn Mr. Adamus den Turm verschließt, dann wünscht er niemanden zu sehen.«
    » Das ist mir klar. Es ist aber wichtig. Und du hast den Schlüssel.«
    » Ich bringe ihm nur die Mahlzeiten, Miss Rachaela.«
    » Wenn du mich nicht reinlässt, dann komme ich einfach mit dir.«
    Er konnte es ihr nicht verweigern. Sie war Miss Rachaela. Und Anna war nicht hier, um ihren Befehl für nichtig zu erklären.
    Sie wartete bis zur Mittagessenszeit in der Küche.
    Als das Tablett mit kaltem Supermarkthähnchen und Salat, Keksen und Käse und einem Glas Wein bereitgestellt wurde, folgte sie Michael, so wie sie ihm schon einmal gefolgt war. Sie liefen über den Salomeanbau die Treppe hinunter und den Korridor entlang bis zur Tür.
    » Wenn Sie warten würden, Miss Rachaela. Ich werde ihm sagen, dass …«
    » Nein. Ich komme mit dir.«
    Michael widersprach nicht.
    Sie ging ihm nach in den Turm und die Treppe hinauf.
    Der Raum brannte in den braunen, goldenen und bernsteingelben Farben des Fensters und war leer.
    Michael stellte das Tablett auf dem Tisch ab.
    » Ich bleibe«, sagte Rachaela bestimmt.
    Michael überließ sie ihrem Schicksal.
    Eine halbe Stunde verstrich in der goldenen, zähflüssigen Masse des Raumes. Sie durchsuchte die Bücher in einem Bücherregal, erkannte jedoch keines von ihnen. Auf dem Klavier standen keine Noten. In dem Zimmer gab es keinen Schmuck. Die Zeiger der Uhr auf dem Kaminsims wirbelten in die verkehrte Richtung. Die Balken an der Decke wirkten mit ihren klebrigen Spinnweben wie altes Karamell, und darin steckten Haken für verschwundene Lampen.
    Rachaela verließ den oberen Raum und lief hinunter zu den zwei verschlossenen Türen. Sie klopfte an eine von ihnen, drückte die Klinke herunter und kam in ein weißes Badezimmer mit einem Seepferdchenfenster. Zögernd klopfte sie an der anderen Tür. Sie führte in ein kleines Schlafzimmer, in dem es sehr dunkel war, da auf seinem Fenster ein Turm im tosenden Sturm abgebildet war, wie eine Zeichnung auf einer Tarotkarte. Auf einem ganz normalen Bett lag Adamus und blickte ihr entgegen.
    » Du weißt, warum ich hier bin«, sagte sie.
    » Nein.«
    » Natürlich weißt du es. Wegen Ruth.«
    » Warum wegen Ruth?« Es klang zu flach für eine Frage.
    » Ich muss sie nach London in ein Krankenhaus bringen.«
    » Warum?«
    » Sie ist geistesgestört. Sie braucht Hilfe.«
    » Noch einmal, warum? Sie werden sich um sie kümmern und sie in Gefangenschaft halten. Glaubst du, deine Ärzte könnten mehr für sie tun?«
    » Es besteht die Möglichkeit, dass sie geheilt werden kann.«
    » Keine Chance.«
    Rachaela sagte: » Ich habe sie immer wie eine Art Monster behandelt, also ist es vielleicht meine Schuld, dass sie wirklich dazu geworden ist.«
    » Du glaubst doch, dass wir alle Monster sind.«
    » Vielleicht hast du Recht. Ich nehme an, du würdest mir widersprechen, wenn ich sagte, die Scarabae haben Ruth zu dem getrieben, was sie tat.«
    » Es ist mir egal, warum sie es getan hat.«
    » Ich bin überrascht, dass du das alles so schwer nimmst. Du verbringst keine Zeit mit ihnen.«
    » Rachaela«, sagte er, » sie hat eine Stricknadel aus Stahl genommen und sie in Annas Brust gerammt. Nachdem sie es an Alice, Dorian und Peter ausprobiert hatte.«
    » Ja, ich weiß. Und deswegen braucht sie auch Hilfe. Sie haben sie auf den Dachboden eingesperrt wie in einem zweitklassigen Horrorfilm.«
    » Anstatt sie in eine hübsche, hygienische Gummizelle zu sperren. Glaubst du, Ruth würde es zulassen, dass du sie in irgendeine Anstalt steckst?«
    » Ruth fürchtet sich vor dem, was sie getan hat. Sie weiß, sie braucht …«
    » Ruth weiß
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