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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz
Autoren: Tanith Lee
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da.
    Sie erklomm die Treppe zum Dachboden. Die Tür war fest verschlossen. Das Schloss musste sicherer sein als das zu dem Raum mit den Gewändern, sonst hätten sie ihm nicht getraut.
    Sie zerrte an der Tür, die wackelte, doch nicht nachgab.
    Rachaela wusste nicht weiter.
    Was sollte sie einer elfjährigen Mörderin, die vier Menschen getötet hatte, schon sagen?
    » Ruth! Ruth? Ich bin es. Ruth antworte mir.«
    Hinter der Tür herrschte Stille, und Rachaela meinte, ein gedämpftes, fledermausartiges Quieken und das Knistern von Funken eines meilenweit entfernten Feuers vernehmen zu können.
    » Ruth.«
    Hinter der Tür antwortete eine Stimme.
    » Hallo, Mami.«
    Die Stimme klang ruhig und leise, gedämpft durch die geschwollenen Lippen, und sehr jung. Es war die Stimme eines Kindes.
    » Ruth. Fürchtest du dich?«
    » Nein«, sagte die Stimme. Und dann, feierlich: » Ja.«
    » Haben sie dir ein Licht gelassen?«
    » Oh, ja. Sie haben mir Kerzen gegeben.«
    » Sei vorsichtig damit«, sagte Rachaela.
    » Ja, Mami.«
    » Ich werde sie dazu bringen, dich rauszulassen. Dann gehen wir zurück nach London. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird.«
    » Sie werden mich nicht rauslassen«, sagte Ruth. » Sie haben Onkel Camillo zwanzig Jahre lang eingesperrt. Das war in einem anderen Haus. Sascha hat es mir gesagt.«
    » Sascha wollte dir nur Angst machen. Haben sie dir wehgetan?«
    » Nein, nur mein Gesicht. Ich habe mir auf die Lippen gebissen.«
    » Sind deine Zähne in Ordnung?«
    » Ja. Aber mein Auge ist geschwollen.«
    » Er hätte dich umbringen können«, sagte Rachaela.
    » Er war wütend.« Dann trat ein zweites Mal Stille ein. Ruth sagte: » Ich wollte das nicht tun. Es war wie in dem Buch. Sie waren schlecht, und ich wollte sie bestrafen.«
    » Sprich jetzt nicht darüber«, sagte Rachaela. » Wir werden einen Arzt für dich finden. Dem kannst du alles erzählen.«
    » Ja, Mami.«
    Einen Moment später sagte sie: » Sie haben mir meine Kleider und meinen Zeichenblock und meine Farben gebracht. Hier gibt es einen ausgestopften Vogel. All der Wein, den Onkel Camillo gemacht hat. Ich habe davon getrunken. Mir ist danach ganz komisch geworden.«
    » Du darfst ihn nicht trinken«, sagte Rachaela.
    » Ich kann Adams Turm von dem Fenster aus sehen. Die Lampe brennt. Ich kann den gelben Löwen sehen.«
    » Lässt sich das Fenster öffnen?«, fragte Rachaela schnell.
    » Nein. Das Fenster haben sie auch abgesperrt. Sie haben mir mein Abendbrot auf einem Tablett gebracht. Ein Stück alter Fisch. Aber der Pudding hat gut geschmeckt.«
    Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen. Ein äußerst unpassender Gedanke.
    » Ruth, du musst versuchen, mir zu vertrauen. Ich verspreche dir, dich rauszuholen.«
    » In Ordnung«, sagte Ruth.
    Zum dritten Mal trat Schweigen ein.
    Rachaela dachte daran, wie Ruth an dem Grab des Katers geweint hatte.
    Heiße, brennende Tränen stiegen Rachaela in die Augen und zerschnitten ihr Herz wie Rasierklingen.
    » Hab keine Angst, Ruth«, sagte sie. » Es gibt nichts, wovor du Angst haben musst.«
    Und jetzt werde ich doch noch zur Lügnerin.
    » Wird er mir vergeben?«, fragte Ruth.
    » Nein, Ruth, das wird er nicht.«
    » Nein. Ich habe es gemacht, damit es ihnen leidtut. Aber ich wollte das eigentlich nicht.«
    » Ja, ich verstehe.«
    » Es tut mir leid, Mami.«
    Als sie hinausging, war der Himmel vom Feuer hell erleuchtet. Und als sie sich über den Abhang bei den Stufen beugte, schien das Feuer bis in die Wolken zu reichen.
    Von Anna, Alice, Peter und Dorian war nichts mehr übrig geblieben. Sie hatten sich in Rauch aufgelöst. Ohne Gebet oder Gesang, wie alte Kleider oder Abfall, so verbrannten sie ihre Toten am Rande des Ozeans.
    Weit draußen hüpfte die weiße Gischt auf den Wellen.
    Die Scarabae, jene, die übrig geblieben waren, bildeten ihren unregelmäßigen Kreis, wie alte Kleinkinder bei einer Guy-Fawkes-Party. Von ihrer Anhöhe aus konnte sie alle sehen, Teresa und Anita, Unice und Miriam, Sascha, Miranda und Livia, George, Stephan, Jack und Eric. Und etwas abseits die demütigen Diener, die nicht vollkommenen Scarabae, Maria, Cheta, Michael und Carlo.
    Adamus war nicht bei ihnen. Auch Camillo nicht. Das Feuer brannte und brannte immerfort, wie alle Feuer dieser Welt.

19
    Beide Türen zum Turm waren verschlossen.
    Die Frau stand vor ihnen in Rock und Bluse, mit ihrer Flut aus schwarzem, urtümlichen Haar. Sie ging zurück in ihr grünes und blaues Zimmer. Rachaela
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