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Schwangerschaft ist keine Krankheit

Schwangerschaft ist keine Krankheit

Titel: Schwangerschaft ist keine Krankheit
Autoren: Jael Backe
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32. Schwangerschaftswoche. Auch sie war bisher immer gesund und alle bisherigen Schwangerschaften verliefen ohne Besonderheiten. Sie stellt sich heute zum ersten Mal in meiner Praxis vor, da sie vor wenigen Wochen von einer anderen Stadt hierher umgezogen ist und eine neue Frauenärztin braucht. Bei der Durchsicht ihres Mutterpasses fällt mir auf, dass Annabell schon dreimal Antibiotika verordnet wurden, weil die Urinuntersuchung einen auffälligen Befund ergeben hatte.
    Im Gespräch mit mir gibt sie an, niemals Beschwerden gehabt zu haben, die für eine Blasenentzündung typisch gewesen wären. Es erfolgten immer nur Teststreifen-Untersuchungen und eine mikroskopische Analyse des Urins durch das Personal der früheren Frauenarztpraxis. Eine bakteriologische Untersuchung war zu keinem Zeitpunkt durchgeführt worden. Auch hatte bisher kein Arzt eine sogenannte Urinkultur angelegt, mit der man den Erregertyp bestimmen und dessen Empfindlichkeit auf Antibiotika testen kann.
    Ich bin überzeugt, dass die Antibiotika, die Annabell verschrieben wurden, mit großer Wahrscheinlichkeit unnötig waren, weil die durchgeführte Urindiagnostik vollkommen unzulänglich war. Dafür hatte sie durch den Einsatz von Penicillin eine hartnäckige Pilzinfektion und Durchfälle entwickelt.
Urinuntersuchung: eine »schwierige diagnostische Aufgabe«?
    In den aktuellen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu Harnwegsinfektionen heißt es: »Trotz ihrer Häufigkeit und Bedeutung in der täglichen Praxis stellt die korrekte Feststellung, ob eine Harnwegsinfektion vorliegt, eine schwierige diagnostische Aufgabe dar.« (AWMF-Leitlinie Nr. 043/044).
    Das ist schon eine unglaubliche Aussage, wenn man daran denkt, dass die sogenannte Harnschau oder Uroskopie von der Antike bis in die frühere Neuzeit hinein eines der wichtigsten Diagnosemittel der Medizin darstellte. Damals war die Beurteilung des Urins ein zentrales Mittel, um Rückschlüsse auf die »Mischung der Körpersäfte« und zugrunde liegende Erkrankungen zu ziehen. Dass noch heute, im hoch technisierten 21. Jahrhundert, die Diagnose eines Harnwegsinfektes Probleme bereiten soll, ist erstaunlich. Im Folgenden werden wir sehen, dass diese »diagnostischen Probleme« Auswirkungen auf die Qualität der Schwangerenbetreuung haben.
Antibiotika – oft überflüssig oder zu unspezifisch
    Berichte wie diejenigen von Annabell und Carina sind keine Einzelfälle. Ähnliches geschieht tagtäglich in der Schwangerenvorsorge. Die Fallbeispiele sind repräsentativ für ein Vorgehen, das in den Mutterschafts-Richtlinien verbindlich vorgegeben ist und von jedem Frauenarzt so durchgeführt werden muss.
    In ganz Deutschland kommt es auf diese Weise dazu, dass viele Schwangere immer wieder zu Urinkontrollen genötigt werden und Antibiotika verschrieben bekommen, die überhaupt nicht nötig wären.
    Auf der anderen Seite werden tatsächliche Harnwegsinfektionen häufig gar nicht oder zu spät erkannt. Zudem werden die antibiotischen Substanzen meist ungezielt, das heißt ohne Austestung verschrieben. Und dies mit allen Folgeerscheinungen einer verfrühten ungezielten Antibiotika-Therapie, wie
• Pilzinfektionen im Magen-Darm-Trakt und im Genitalbereich,
• gestörte Darmflora,
• Resistenzentwicklung der Bakterien, sodass die Antibiotika, wenn es wirklich nötig wäre, nicht mehr wirksam sind.
    Die Erreger von Harnwegsinfektionen sind in Deutschland immerhin schon in hohem Maße resistent gegen das in der Schwangerschaft am häufigsten verwendete Antibiotikum Ampicillin. In einer großen Studie, die in urologischen und frauenärztlichen Praxen von neun europäischen Ländern sowie Brasilien durchgeführt wurde, lag die Resistenzrate in Deutschland für Ampicillin bei ganzen 67 Prozent (AWMF-Leitlinie Nr. 043/044).
Haben Sie eine »asymptomatische Bakteriurie«?
    In der Schwangerschaft verändert sich der weibliche Organismus auf verschiedene Art. Die Veränderungen begünstigen das Auftreten von Harnwegsinfektionen:
• Die Durchblutung der Nieren steigt um 30 bis 40 Prozent an, wodurch der Urin stärker verdünnt wird. Die Konzentration entzündungshemmender Substanzen im Urin nimmt damit ab.
• Die Harnröhre ist in der Schwangerschaft deutlich erweitert. So
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