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Schwaben-Wut

Schwaben-Wut

Titel: Schwaben-Wut
Autoren: Klaus Wanninger
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Sensationsgeilen, die Gier nach dem Ungewohnten im Blick.
    Kamen die gleißenden Scheinwerfer von Fernsehkameras hinzu, war die Masse kaum mehr zu halten. Kein Respekt vor Betroffenen, keinerlei Rücksicht auf die schockierten Angehörigen. Braig verabscheute das Verhalten einiger Boulevardjournalisten genauso wie die abnorme Wissbegier vieler Passanten, musste sich jedes Mal aufs Neue im Zaum halten, nicht gewaltsam auf sie, samt ihren Fotoapparaten und Kameras, loszugehen.
    »Hast du heute noch was vor?«, rief er Helmut Rössle zu.
    »Heute?« Der Kriminaltechniker kniete auf dem Asphalt, untersuchte mit einem Maßband den rückwärtigen Teil des Autowracks. »Du bist gut. Weißt du, wie spät es ist?« Er deutete auf seine Uhr.
    Braig nickte. »Zehn vor elf.« Er wusste es gut genug. Schließlich hatte er darauf gehofft, einen ruhigen Samstag ohne große Zwischenfälle zu erleben und sich dann gegen Abend nach Esslingen abzusetzen, wo eine Frau, die er erst vor wenigen Wochen kennengelernt hatte, auf ihn wartete.
    Mit dem Überfall auf den Leiter eines großen Supermarkts am späten Nachmittag, dem die gesamten Tageseinnahmen von einer Million Mark entrissen worden waren, sowie zwei großen Massenkarambolagen mit mehreren Toten und Schwerverletzten auf den Umlandautobahnen war dieses Vorhaben hinfällig geworden; denn die zuständigen Beamten hatten notgedrungen die Hilfe des Landeskriminalamtes angefordert.
    Seine Kollegin Katrin Neundorf war seit der überraschenden, gewaltsamen Befreiung eines inhaftierten jugendlichen Mörders, anlässlich eines Arztbesuches am gestrigen Mittag, mit einer mehrere Mann starken Sonderkommission pausenlos beschäftigt, den jungen Verbrecher wieder aufzufinden; erfolglos bisher, soweit er informiert war.
    Braig war nichts anderes übrig geblieben, als sich wieder einmal telefonisch zu entschuldigen und sein Privatleben zurückzustecken, auch wenn das der neuen Beziehung, die bisher noch kaum als solche zu bezeichnen war, nicht gerade in die Wege half. Es sollte wohl nicht sein, hatte er sich selbst zu beruhigen versucht, das Schicksal schien sich wieder einmal gegen eine neue Liaison verschworen zu haben.
    »Sie brauchen uns in Backnang«, sagte er mit lauter Stimme und deutlich verärgertem Tonfall, »sofort.« Er sah, wie Rössle sich müde aufrichtete und zu ihm herüberschaute.
    »Alle achtzig Deifel von Sindelfinge, was denn jetzt noch?«
    »Eine Leiche. Mitten in der Altstadt.«
    Rössle rollte das Maßband zusammen, schüttelte den Kopf. »Muss das wirklich sein?«
    Braig zuckte mit der Schulter. »Tut mir leid. Ich habe die Frau oder den Kerl nicht umgebracht.«

4. Kapitel
    Der Anblick des Toten traf Braig wie ein Schlag. Unwillkürlich trat er ein paar Schritte zurück, spürte die heftigen Reaktionen seines Körpers, der Magen revoltierte. Er wandte sich ab, spuckte auf den Boden, rang um Luft.
    Mit vielem hatte er gerechnet, damit jedoch nicht. Unvorbereitet, ohne jede Warnung war er zu der Leiche getreten, hatte die darüber gebreitete Plane entfernt und den hellen Strahl seiner Taschenlampe über den Toten gleiten lassen – und mitten auf die zertrümmerte Stirn eines Mannes gestarrt. Die obere Hälfte des Gesichts war völlig demoliert.
    Es war nicht die späte Stunde, nicht der Streß eines langen, arbeitsreichen Tages – es war die üble Entstellung, die der oder die Mörder ihrem Opfer zugefügt hatten. Braig war wenig erspart geblieben in den Jahren seiner Tätigkeit als Kommissar beim Landeskriminalamt, er hatte manche Leiche begutachtet und untersucht,– der Anblick dieses Toten versetzte ihn in eine Unruhe wie selten der Fund eines ermordeten Menschen zuvor.
    Die Brutalität der Tat sprang zu deutlich in die Augen, ließ sich einfach nicht übersehen. Ein Mensch, entstellt, misshandelt, vernichtet. Was musste mit einem Menschen geschehen, um einen anderen so zu behandeln?
    Er starrte ins Dunkel des Waldes, versuchte tief durchzuatmen. Gab es keine Grenzen des Wahnsinns, der Gewalt? Was sollte er, Braig, noch alles ansehen müssen, nur weil er sich für einen Beruf entschieden hatte, der ihm auch Einblicke in die Schattenseiten des Daseins gewährte?
    Langsam kam er wieder zu sich, wurde ihm die makabre Situation, in der er sich hier befand, bewusst. Oben auf der Anhöhe des Stiftshofes das leiernde Gedudel billiger Musikkapellen, unten im Tal die Schreie fröhlicher Menschen, die sich in Karussells und auf Achterbahnen vergnügten. Und hier, am Rand des
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