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Schwaben-Rache

Schwaben-Rache

Titel: Schwaben-Rache
Autoren: Klaus Wanninger
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Kampf gegen die Zerstörung von Menschen erlebt habe.«
    »Haben Sie es sofort gewusst?«, fragte Frau Gübler.
    Braig schaute die Frauen kopfschüttelnd mit großen Augen an. »Ich kann es nicht fassen«, murmelte er.
    »Nein. Nicht von Anfang an. Aber als wir dann miteinander sprachen und ich noch Frau Sommer kennenlernte. Ihr Auftreten, Ihre Worte, Ihr Selbstverständnis als Christin. Die Schilderung der Familie in dem Bekennerbrief. Ich muss zugeben, ich habe darüber noch nie nachgedacht, es ist ja so selbstverständlich. Man fährt fast täglich Auto und kümmert sich nicht um die Folgen. Wenn es jemanden trifft, hat er Pech gehabt. Mehr als zwanzig Tote jeden Tag und Hunderte von Verletzten. Und wir nehmen dieses Morden hin, als gehöre es zum Leben. Das Schreiben hat mich sehr beeindruckt.«
    Frau Sommer nickte, ihr Gesicht hatte an Farbe gewonnen.
    »Das Einzige, was ich Ihnen übelnehmen könnte, ist, dass Sie ausgerechnet uns beide als Alibi für eine weitere Entführung benutzt haben.« Neundorf zeigte auf ihren Kollegen und sich. Braig schüttelte noch immer den Kopf.
    »Aber ich gebe zu, es war clever arrangiert. Und dass dieser Luxuskarrossenvertreter eine Nacht lang frische Luft schnappte und jetzt seine eigene Propaganda offen auf der Stirn trägt – ich glaube nicht, dass Sie ihm großen Schaden zugefügt haben.«
    »Sie haben es gestern Abend schon bemerkt?«
    »Ehrlich gesagt, nein. Ich wunderte mich zwar, dass Sie beide so sportlich angezogen waren, und bei der Verabschiedung fielen mir auch noch die Fahrräder ins Auge oder vielmehr, wie abgenutzt und voller Dreck beide waren. Nietzsche hat mich zum Nachdenken gebracht. Ihre Bemerkung, der Übermensch sei lebendig als Idol unserer Gesellschaft. Mein Kollege berichtete mir davon. Gestern Abend wollte ich Sie danach fragen, aber wir waren zu müde. Weil Sie so spät erst zurückgekommen sind ...«
    »Wir hatten den Weg unterschätzt. Mit den Fahrrädern dauerte es länger, weil wir so viel Gegenwind hatten. Ich fürchtete schon, Sie seien gegangen.«
    »Und die alte Frau aus der Gemeinde?«
    »Keine Lüge. Wir hatten sie bereits versorgt, bevor Sie kamen.«
    »Die Stimme«, wandte Braig ein, »alle Opfer sprachen von einer sehr tiefen Stimme.«
    »Ich selbst habe die Bauchrednerin erlebt. Sie munterte damit im Krankenhaus die Kinder auf«, erwiderte Neundorf.
    Frau Gübler nickte zustimmend. »Wir haben nicht einmal eine Waffe benutzt. Es war eine kleine Spielzeugpistole.«
    »Das ist ganz schön viel auf einmal«, meinte Braig.
    »Sie haben recht«, tröstete Frau Gübler ihn, »aber uns beiden ging es ähnlich wie Ihnen. Sie haben die jahrelange Ausbeutung und Erniedrigung Ihrer Mutter mit ansehen müssen und wollten aktiv helfen, dagegen vorzugehen. Mir ging es nicht anders. Ich konnte es nicht länger ertragen. Meine Arbeit war sinnvoll und doch sinnlos. Wie viele Opfer ich auch zusammenflickte, täglich lieferten sie reichlich Nachschub von den Straßen. Haben Sie eine Ahnung, was da draußen los ist?«
    »Haben Sie deswegen Ihren Beruf aufgegeben?«
    »Ich konnte nicht mehr. Sisyphos. Ich war nicht länger bereit, ständig den Stein hochzurollen und ihn dann wieder den Abhang hinabrutschen zu sehen. Wenn ich verhindern will, dass Menschen krank werden, reicht es nicht, schmerzstillende Mittel zu verschreiben. Ich muss dafür sorgen, dass die krankmachenden Ursachen beseitigt werden.«
    »Es ist nicht der böse Gott, der das Blutbad auf den Straßen anrichtet, wir Menschen tragen die Verantwortung«, sagte Frau Sommer, »wir wollten als Betroffene ein Zeichen setzen. Und dann hörten wir von der Entführung Breuningers in Stuttgart und wussten, so können wir einige der Drahtzieher packen und die Öffentlichkeit aufmerksam machen.«
    Neundorf richtete sich auf, blickte sich um. »Eins ist klar: Ich habe den Fall geklärt, ich allein. Ich bestimme daher, was jetzt läuft.«
    Braig nickte zustimmend.
    »Sehen wir es realistisch«, fuhr Neundorf fort, »was bringt es, Frau Gübler und Frau Sommer zu verhaften? Die Volksseele kocht, die Meute schreit nach dem Henker, und die Drahtzieher treiben weiter ihr schmutziges Spiel. Was haben sie wirklich getan? Vier Männer, einer so rücksichtslos wie der andere, alle vier schuldig am Leid unzähliger Menschen, haben wider ihren Willen einige Stunden an einer stark befahrenen Straße verbracht. Natürlich hatten sie Angst, aber diese Angst steht in keinem Verhältnis zu dem Leid, das ihre Opfer
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