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Schwaben-Rache

Schwaben-Rache

Titel: Schwaben-Rache
Autoren: Klaus Wanninger
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nichts. »Privat?«
    »Privat. Klar?«
    Braig zuckte mit den Schultern. Natürlich kam er gerne privat her, in dieses Haus. Aber jetzt, um Mitternacht?
    Neundorf schenkte ihm keine Zeit zum Nachdenken. Sie setzte sich auf die Eckbank und fing unvermittelt an. »Folgendes ist geschehen: Der Autoclubprovinzboss Breuninger überfährt in betrunkenem Zustand ein spielendes Kind und vertuscht den Mord gemeinsam mit dem einzigen Zeugen, dem Wirt des Lokals, dem eine ähnliche ›Lappalie‹«, sie betonte das Wort spitzzüngig, »auch schon passiert ist. Breuninger hat ihm damals geholfen, jetzt revanchiert er sich. Eine Hand wäscht die andere. Männerfreundschaft.« Neundorf schwieg, schaute sich erschöpft um. Die späte Stunde und die Anstrengungen des Abends waren ihr ins Gesicht geschrieben.
    Frau Sommer holte einen Krug aus der Küche, schenkte Saft ein.
    »Weil Breuninger und seine Leute den zunehmenden Einfluss umweltpolitisch engagierter Menschen immer stärker als Bedrohung ihrer Auto- und Betonpolitik erkennen, plant er einen aufsehenerregenden Coup gegen alle grünen Kritiker: Er fühlt instinktiv, wie sich die Öko-Bewegung für immer ins Abseits stellen lässt, nämlich indem man sie als eine gewalttätige, von aggressiven Spinnern durchsetzte Gruppierung diffamiert. Ob er dies im Alleingang oder mit Wissen oder gar im Auftrag seines Clubs und seiner Lobby-Freunde unternimmt, vermag ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall lässt er sich scheinbar entführen ...«
    »Oh mein Gott!« Braig stellte sein Glas, das er an den Mund geführt hatte, zurück und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Du hast Beweise?«
    Neundorf nickte. »Breuninger schiebt dieses angebliche Verbrechen publicitywirksam begleitet von einem wirren Bekennerbrief grünen Autokritikern in die Schuhe, um allen Leuten klarzumachen: Seht ihr, die grünen Teufel wollen euch sogar noch euer letztes Vergnügen rauben und schrecken nicht davor zurück, unschuldigen Menschen Gewalt anzutun.«
    Neundorf nippte an ihrem Glas.
    »Vielleicht wollten sie noch weitere Personen – scheinbar oder real – entführen, um den Effekt zu verstärken, jedenfalls hielten sie die Schreibmaschine, mit der sie den Bekennerbrief tippten, in Reserve. Womit sie aber nicht rechnen konnten, ist, dass Nachahmer auftreten, die zwei Männer entführen und sie eine Nacht lang frische Abgase schnuppern lassen: Kessel, weil er seit Jahren mit seiner Raserei Menschenleben gefährdet und die Gesundheit eines Kindes ruiniert hat, Schmidt, weil er seine Mitarbeiter schikaniert und für den Neubau der vierspurigen Bundesstraße hetzt. Kurz darauf wird der Bauunternehmer Bofinger entführt und einige Stunden nackt – ich nehme an, weil er einer der Hauptdrahtzieher ständig neuer Straßenbauten ist – dem nächtlichen Autolärm ausgesetzt. Sind es schlimme Verbrechen, deren Urheber wir hier suchen?«
    Neundorf schüttelte den Kopf.
    »Gegenüber dem, was ihre ›Opfer‹«, sie betonte das Wort auf eigentümliche Weise, »zu verantworten haben, ist es kaum der Rede wert.«
    »Du urteilst sehr großzügig«, meinte Braig.
    Neundorf sah ihm scharf in die Augen. »Du stimmst mir nicht zu?«
    Steffen Braig wog den Kopf hin und her. »Prinzipiell hast du recht.«
    »Also«, sagte Neundorf, »dann sind wir ja einer Meinung.« Sie trank von dem Saft, betrachtete die Frauen. »Ich hätte es früher begreifen müssen«, erklärte sie, »spätestens in dem Moment, als unser Psychologe darauf hinwies, dass der in dem späteren Bekennerschreiben geschilderte Fall einer durch einen Autounfall zerstörten Familie authentisch sei. Immerhin wurde mir klar, dass nur äußerst sensible Leute den Mut aufbringen können, so viel zu riskieren, um dieses Tabu zu brechen und die Öffentlichkeit wachzurütteln.« Sie machte eine Pause, sah sich um.
    »Ich glaube, wir gehören wirklich zusammen«, meinte Frau Gübler. Müde wischte sie sich die Haare aus dem Gesicht.
    »Ich habe schnell begriffen, dass so viel sensitives Bewusstsein, so viel Mitgefühl mit unterdrückten Menschen und solch großer Mut keine Männersache sein können«, fuhr Neundorf fort. »Meine gesamte Erfahrung spricht dagegen. Männer denken – von erfreulichen Ausnahmen abgesehen – ans Durchführen, an die Machbarkeit und die Sachzwänge, denen man einiges opfern muss. Die Folgen, die Nebenwirkungen, die Verantwortung – alles Nebensache. Und dann lerne ich die Ärztin kennen, die ich selbst in ihrem unermüdlichen
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