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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe
Autoren: Klaus Wanninger
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einmal andeutungsweise ihr ursprüngliches Aussehen verratend. Ob Moses auf eine Ansammlung dieser unglückseligen Wesen gestoßen war?
    Gabriele Krauter hatte den stechenden Geruch der unbekannten Masse schon in der Nase, als sie vom Krautacker noch mehrere Meter entfernt war. Der Wind kam böig von Nordwesten, trug eine seltsame Mixtur von süßlicher Verwesung und verbranntem Fleisch mit sich. Je mehr sie sich dem Fundstück näherte, desto intensiver nahm sie die starke Ausdünstung wahr. Ekel stieg in ihr auf, Gänsehaut überzog urplötzlich ihren Rücken, säuerliche Flüssigkeit revoltierte in ihrem Magen. Noch immer bellte der Hund vor ihr, leiser zwar und mit heiser-erschöpftem Unterton, aber mit deutlicher, unüberhörbarer Nervosität.
    Dann hatte Gabriele Krauter ihn erreicht. Der Mischling jaulte laut auf, rannte die zwei Meter vor seiner Herrin her zu dem unbekannten Fund, stoppte jäh und schreckte wieder zurück. Die Töne, die der Hund von sich gab, waren so erbärmlich wie ihr Gemütszustand.
    Nicht die Überreste eines Tieres lagen vor ihr, sondern die teilweise verkohlte Leiche eines Menschen. Arme und Beine lagen seltsam verwinkelt, halb um den Körper geschlungen, der Leib und die Hände des Toten waren schwarz verbrannt. Vom Gesicht hatten der oder die Täter nicht viel übriggelassen, neben der Nase gähnte ein tiefes Loch.
    Die Person hier am Rand des Ackers war keinen freiwilligen Tod gestorben, soviel war klar. Gabriele Krauter spürte, wie es in ihr schaffte und gärte. Sie drückte den jämmerlich heulenden Hund von sich weg, beugte sich weit nach vorne. Die Reste eines späten Essens, vermischt mit bitterer Galle, ergossen sich wenige Zentimeter neben dem entstellten Schädel des Toten.

2.
    Der kleine Junge stand im Schatten des mächtigen Busches und blinzelte ängstlich in die Morgensonne. Er schien sehr jung, keine zehn Jahre alt, war mit einer ausgebleichten, viel zu weiten alten Jacke bekleidet, die sich wie ein großer Vorhang um seinen auffallend schmalen Körper wickelte. Die kurzen, dünnen Beine steckten in schmutzigen Jeans, deren ausgebeulte Knie nach vorne abstanden.
    Von der Straße her waren die Geräusche von Autos und Motorrädern, ab und an auch die Stimmen von Menschen zu hören, die die Hofeinfahrt passierten. Selten warf jemand einen Blick auf den leicht abschüssigen, von mehreren Mülleimer-Boxen gesäumten Weg zu den Garagen. Die Häuser in dieser Gegend hatten zwei oder drei Stockwerke, selten mehr, große, weitläufige Fenster, breite, oft von Sonnenschirmen oder Markisen bedeckte Balkone. Das Gelände rings um die Gebäude zeigte viel Grün; gepflegte Rasenflächen, Obstbaum-Wiesen, kleine Gärten. Vor den Garagen und auf den Parkplätzen standen auffallend große Autos, man hatte Arbeit und Geld in der schnell wachsenden Gemeinde im Remstal, brauchte sich vor niemandem zu verstecken, zeigte stolz und völlig unschwäbisch, zu was man es gebracht hatte.
    Der kleine Junge drückte sich noch fester in den Schatten des Busches, suchte die Umgebung mit aufmerksamen Augen ab. Sein Blick fiel auf die dem Hof zugewandte Fensterfront des vor ihm liegenden Hauses: vier breite, mit hellen Gardinen geschmückte Glasflächen, mit einer reichen Auswahl von Pflanzen und Kakteen bestückt, alle streng verschlossen, keines auch nur einen Spalt offen. Genau dasselbe Bild eine Etage höher: Weite Fensterfronten, Vorhänge, Pflanzen, Ruhe. Menschen, neugierige Gesichter, Leben in irgendeiner Form war nirgendwo zu entdecken.
    Er tastete die ganze Fassade mit seinen Augen ab, überprüfte die Umgebung, suchte nach einem Gegenstand, den Höhenunterschied zu überwinden. Auf der Rasenfläche neben den Garagen, von üppig grünen Zierhölzern gesäumt, lag ein alter, leicht eingedellter Eimer. Der Junge ließ sich auf alle Viere nieder, krabbelte durch den Busch zu dem Fundstück, zog es zu sich her. Er drückte den Eimer auf den Boden, spürte, dass er stabil genug war, seinem Körper Halt zu geben. Den kleinen Hund, der neugierig den abschüssigen Weg die Hofeinfahrt hinuntersprang, den Geruch irgend eines anderen Lebewesens in der Nase, bemerkte er erst, als er direkt vor dem dichten Pflanzengestrüpp angelangt war. Es handelte sich um einen hellbraunen Spitz, ein älteres, schon von etlichen kahlen Flecken in seinem Fell geziertes Tier. Auge in Auge standen sie sich gegenüber, auf gleicher Höhe, nur durch eine üppig grüne Ranke der Pflanze getrennt, beide zutiefst
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