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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe
Autoren: Klaus Wanninger
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sie zu übersehen und deshalb von seinem Vorgesetzten in dessen rücksichtslos-überheblicher Art zur Rede gestellt und gemaßregelt zu werden, war langsam, aber stetig einem aus Erfahrung und Routine erwachsenen Bewusstsein gewichen, die Erfordernisse seines Berufs bewältigen und aufgetragene Projekte meist sachgerecht zum Erfolg führen zu können.
    Unterstützung fand dieser Reifeprozess durch die wachsende Anerkennung und Wertschätzung, deren Braig bei immer mehr Kollegen zuteil wurde. Es war unübersehbar, dass der junge Kommissar allgemein als freundlich, aufgeschlossen, zuverlässig und fachlich als äußerst kompetent galt – Eigenschaften, die in einem auf Kreativität und Teamarbeit angewiesenen Beruf unverzichtbar waren.
    Mehr Schwierigkeiten erwuchsen Braig zurzeit aus seinem Privatleben; da war zum Beispiel das immer noch komplizierte Verhältnis zu seiner alleinstehenden, über jedes erträgliche Maß hinaus eifersüchtigen Mutter oder seine ihm selbst immer deutlicher zu Tage getretene Unfähigkeit, Beziehungen zu Frauen auf eine stabile, auch wenig erfreuliche Momente überdauernde Grundlage zu stellen. Wobei er sich im Klaren darüber war, dass sich die beiden Problemkreise gegenseitig überlappten und der zweite wohl in starkem Maß aus dem ersten resultierte. Der Ruhepol in seinem Leben fehlte, immer noch; den Beruf langfristig als einzige Aufgabe anzusehen, brachte auf Dauer keine Befriedigung. Spürbare Folgen seiner privaten Schwierigkeiten waren sporadisch auftretende Schübe von migräne-ähnlichen Kopfschmerzen, Beschwerden, die ihn im beruflichen Alltag lähmten und sein Dasein ab und an in eine Folterstätte verwandelten.
    Güblers Anwesenheit heute im Amt vermochte Braigs Laune nicht gerade aufzumöbeln. Der Kommissar litt gerade jetzt unter Kopfweh, fühlte bohrende, beißende Schmerzen irgendwo tief in seinem Schädel und hoffte auf einen ruhigen Samstag in Bad Cannstatt. Auf alles, nur nicht auf ein neues Verbrechen.
    »Einsatz?«, fragte er. »Um was geht es?«
    Dass Gübler heute im LKA erschienen war, hatte einen triftigen Grund: Die Anwesenheit eines Fernsehteams, das die besonders effiziente Arbeit des Amts ausführlich zu dokumentieren beabsichtigte. Weil die Journalisten einen Einblick in möglichst viele Abteilungen des Landeskriminalamtes wünschten, hatte der Präsident darum gebeten, einen Samstag für deren Erscheinen auszuwählen, um die Arbeit der Beamten nicht über ein akzeptables Maß hinaus zu belasten.
    Braig kannte die narzisstische Eitelkeit seines Vorgesetzten zur Genüge. Wo immer eine Kamera Aufnahmebereitschaft signalisierte, war Gübler nicht weit entfernt. Im Licht der Öffentlichkeit, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, schien das Lebenselixier des körperlich nicht gerade groß geratenen Mannes zu sein.
    »Um was es geht?« entrüstete sich Gübler. »Junger Mann, was sind Sie von Beruf? Eine Leiche wartet auf uns. Draußen am Flughafen.«
    Braig fühlte sich genervt. Das Geschwätz seines Chefs, dumm, hohl, aufgeblasen, kannte er zur Genüge. Der würde ihn auch dann noch von oben herab als junger Mann anreden, wenn er längst pensioniert war.
    Trotz seiner Kopfschmerzen bemerkte Braig die großen Augen Güblers, die außergewöhnliche Energie, die den Mann antrieb, die Hoffnung, die ihn beseelte. Alles war typisch für ihn, nur das nicht: Hoffnung, Aktivität, Energie.
    »Mord?«, fragte Braig. »Oder Unfall?«
    Güblers Gesicht legte sich in Falten.
    »Sie sollten keine philosophischen Exkurse abhalten. Die Spurensicherung ist schon an Ort und Stelle. Wir müssen uns beeilen.«
    Braig konnte seine Überraschung nicht verbergen Er glaubte, nicht richtig verstanden zu haben.
    »Wir? Sie wollen mitkommen?«
    »Warum nicht? Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?«
    Steffen Braig schüttelte den Kopf. Natürlich hatte er nichts einzuwenden. Wieso auch. Überrascht war er trotzdem. Schließlich war es in all den Jahren, die er hier am LKA arbeitete, das erste Mal, dass Gübler sich bereit erklärte, selbst in die Niederungen der konventionellen Polizeiarbeit hinabzusteigen und die meist recht mühsame Untersuchung am Tatort vorzunehmen. Und das noch dazu an einem Wochenende und in einem Moment, wo eventuell aufnahmebereite Fernsehkameras auf den Mann warteten.
    Er wusste nicht, was hinter dem ungewöhnlichen Interesse seines Vorgesetzten steckte. Auf jeden Fall war es verblüffend.

4.
    Fünfundzwanzig Minuten später parkten sie vor dem Aussiedlerhof
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