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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe
Autoren: Klaus Wanninger
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erschrocken, mit pochenden Herzen und Adrenalin im Blut.
    Die alte Frau im Nachbarhaus wurde auf den Jungen erst aufmerksam, als der Hund heftig bellend vor dem Busch zurückwich und tänzelnd und kläffend den Rückweg antrat. Elfriede Buschmann hatte es sich angewöhnt, die Umgebung – wann immer es ihr möglich war – streng im Blick zu behalten, seit die Meldungen über Wohnungseinbrüche ständig neue Schlagzeilen in der Tageszeitung produzierten. Der Schlaf heute Nacht war tief und erholsam ausgefallen, weit befriedigender als in den Nächten zuvor, und so hatte sie gelöst und in freundlicher Stimmung ihren an Röststoffen armen Kaffee aufgebrüht und eine Packung Bahlsen-Kekse geöffnet, eines der zahlreichen Geschenke zum letzten Geburtstag. Sie stellte die Tasse auf einen hauchdünnen Teller, postierte beide auf dem kleinen Klapptisch nahe dem Küchenfenster, legte den Gebäckkarton daneben. Von diesem Platz aus hatte sie einen großen Teil der Straße, die Einfahrt in den Hof und die breite Grünfläche hinter den Häusern voll im Blick. Die Kekse zauberten ein Potpourri würziger Düfte in den Raum. Sie betrachtete die Farbe, die Form und die Anordnung des Backwerks, beschloss, zuerst von der üppig gefüllten Waffelrolle zu naschen, die in zwei verschiedenen Stapeln links und rechts an den beiden Enden des Kartons angeboten wurde. Als sie den ersten Keks in den Mund schob, mit der Zunge vorsichtig seinen Geschmack ertastend, meldete sich der Hund hinter dem Nachbarhaus.
    Überrascht legte sie die Waffelrolle neben ihre Kaffeetasse, starrte nach unten. Der hellbraune Spitz sprang wütend hin und her, tänzelte vor dem Buschwerk auf und ab. Neugierig schob Elfriede Buschmann die kleine, selbst gehäkelte Gardine zur Seite, betrachtete das Treiben des Tieres. Der Hund bellte in Richtung des Pflanzengestrüpps, rannte dann rücklings den Weg zur Straße hoch, riss alle paar Meter den Kopf zur Seite, kläffte zurück. Tiere, gleich welcher Art, hatten laut Mietordnung im Hof und auf den Grünanlagen nichts zu suchen, allen voran Hunde; zu groß waren der Schmutz und die Zerstörung, die sie auf dem ordentlich gepflegten Gelände verursachten!
    Entrüstet schob Elfriede Buschmann ihren Stuhl zurück, verfolgte das Zurückweichen des ungehorsamen Tieres, das sich mehr und mehr der Straße näherte. Der Spitz rannte den leicht abschüssigen Weg hoch, stoppte, kläffte in Richtung Hof, setzte erneut zum Spurt an. Wenige Sekunden später war er hinter parkenden Autos verschwunden. Die alte Frau ließ sich gerade wieder auf ihren mit einem selbst gefertigten Kissen bestückten Stuhl sinken, zufrieden über das Abtauchen des Störenfrieds, als sie den kleinen Jungen bemerkte. Er kroch auf allen Vieren aus dem Gebüsch, ängstlich, unübersehbar nervös um sich spähend.
    Sie wusste – natürlich – vom ersten Moment an, was der plante. Mit seinen rabenschwarzen, wuscheligen Haaren, der viel zu weiten, lommeligen Jacke und den dünnen Beinen hatte er keine Chance, sie hinters Licht zu führen. Sie hatte das Fahndungsfoto in der Zeitung aufmerksam studiert, sich die Gesichter der Übeltäter genau eingeprägt. Rumänische Banden, nicht einmal davor zurückschreckend, ihre eigenen Kinder zu Verbrechern heranzuziehen, skrupellose Gangster, die nur ein Ziel hatten: Ehrliche, anständige Bürger zu überfallen und auszuplündern!
    Elfriede Buschmann überwachte die Szene mit Argusaugen. Der Junge prüfte immer noch seine Umgebung, tastete die rückwärtige Fassade des Nachbarhauses mit angespanntem Blick ab. Seine ausgemergelten Gesichtszüge waren selbst von ihrer Küche aus deutlich zu erkennen. Die Backenknochen zogen sich scharfkantig durch beide Hälften des Gesichts, die Haut war grau, nicht einmal der Ansatz eines Fettpolsters vorhanden. Genau so war er in der Zeitung abgebildet.
    Als der Junge hinter sich griff und vorsichtig einen Eimer aus dem Gebüsch zum Vorschein brachte, wusste Elfriede Buschmann, dass sie jetzt keine Zeit mehr verlieren durfte. Sie beobachtete noch, wie der Kleine draußen flink zu den Boxen wieselte, die die Mülltonnen beherbergten, den Kunststoffbehälter auf den Boden stellte und ihn bestieg. Sie schob ihren Stuhl zurück und bemühte sich, schnell zum Telefon zu gelangen. Die Notrufnummer kannte sie auswendig. Für alle Fälle. Sie tippte, wartete ungeduldig.
    »Die rumänische Bande«, sprudelte sie los, als sich der Beamte am anderen Ende der Leitung endlich meldete, »hier bei
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