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Schwaben-Messe

Schwaben-Messe

Titel: Schwaben-Messe
Autoren: Klaus Wanninger
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erkämpften Entscheidung, den landwirtschaftlichen Betrieb an Ort und Stelle weiterzuführen und nicht vor den Auswirkungen der modernen Zivilisation zurückzuweichen. Der Boden war fruchtbar und leicht zu bearbeiten, die Erträge meist opulent und weit über der Norm, die Arbeit auf den weiten, fast ebenen Flächen anstrengend, aber – bis auf den Lärm und die Abgasschwaden – zu ertragen. Sie musste sich arrangieren und eigene, der besonderen Situation angepasste Verhaltensweisen entwickeln, wollte sie hier langfristig überleben. Und dies war Gabriele Krauters Ziel, eines der wichtigsten, die sie sich selbst gestellt hatte.
    Sie nahm sich ein frisches T-Shirt vom Regal, legte die blaue Arbeitshose auf einen Stuhl, starrte über die Äcker in Richtung des aufgeregten Tiers. Der Hund am Rand des Krautackers federte bellend auf etwas Gefundenes zu. Für den Bruchteil einer Sekunde verharrte er unmittelbar vor dem unbekannten Objekt, riss dann seinen Kopf zur Seite und sprang laut kläffend zurück.
    Gabriele Krauter wusste nicht, wie lange Moses schon tobte und hin- und hersprang. Sie kannte den Hund aber gut genug, um zu begreifen, dass es sich um einen außergewöhnlichen Fund handeln musste. Der etwa acht Jahre alte Mischlingsrüde war nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen, das hatten die Ereignisse der letzten Jahre deutlich gezeigt. Im Gegensatz zur hektisch-lauten Umgebung des Hofs blieb er normalerweise gleichmütig. Wenn Moses sich so in Rage bellte, musste etwas Besonderes vorgefallen sein.
    Gabriele Krauter beschloss, vorerst auf eine Dusche zu verzichten, stellte sich vors Waschbecken, seifte sich ein. Prustend hielt sie den Kopf unter den Wasserhahn, klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht und auf den Oberkörper, trocknete sich sorgfältig ab. Als sie das T-Shirt überstreifte und in die Hose schlüpfte, hörte sie die Tür des Schlafzimmers knarren. Ihre Freundin starrte sie mit verschlafenen Augen an, fuhr sich durch ihre dichten strähnigen Haare. Sie war knapp über vierzig, knochig dünn, mit einem schmalen Gesicht.
    »Moses bellt«, presste sie langsam hervor, gähnte leise. Der leichte Akzent ihrer Sprache war nicht zu überhören. Gabriele Krauter nickte und wies nach draußen.
    »Wir sollten nachsehen, warum er sich so aufregt.«
    Sie schlüpfte in ihre Schuhe, lief zur Haustür, öffnete. Der Horizont hatte sich deutlich aufgehellt, die Nacht war zu Ende. Das Kläffen des Hundes war vollends in ein böses Knurren übergegangen.
    Gabriele Krauter steckte zwei Finger zwischen die Lippen, ließ einen durchdringenden Pfiff erschallen. Der Hund reagierte sofort. Wie ein Pfeil schnellte er von dem Acker weg, rannte auf das Haus zu und warf sich japsend vor der Frau auf den Boden.
    Sie kniete nieder, streichelte das Tier.
    »Was ist, Moses, was hast du entdeckt?«
    Der Mischling rieb sich unruhig an ihrem Oberarm, tänzelte aufgeregt hin und her, stieß ein heiseres Bellen aus. Als sie sich aufrichtete, sprang das Tier davon. Alle paar Meter stoppte es mitten im Lauf, blickte zurück, winselte laut. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
    »Ich gehe nachschauen«, rief sie, ließ die Tür offenstehen. Sie versuchte näherkommend die dunkle Masse, ein knapp zwei Meter langes schmales Objekt am Rand des Krautackers, zu erkennen. Ob es aus Versehen von einem Flugzeug mitgeschleppt oder beim Steigflug zu Boden gefallen war? Die Manager des nahen Airports stritten vehement ab, dass es Vorkommnisse dieser Art gab. Technisch unmöglich, verlautbarten sie forsch, bei den modernen Maschinen, die in immer größerer Anzahl unterwegs sind: völlig unmöglich. Gabriele Krauter wusste, dass sie logen, ob bewusst oder mangels besserer Kenntnis, konnte sie nicht beurteilen. Sie hatte selbst mehrfach erlebt, dass startende Maschinen Ballast abwarfen: Erdbrocken, die sich von den Rädern lösten, kleine Äste oder Zweige, vom Wind auf die Startbahn geweht, die das Flugzeug dann vor dem Abheben zerquetscht und mitgerissen hatte. Im Winter bei niedrigen Temperaturen waren bereits mehrfach Eisklumpen unter hochsteigenden Maschinen in ihrer Nähe auf den Boden geschlagen; wahrscheinlich, weil die heiße Luft der Triebwerke sie von der Außenhaut gelöst hatte. Manchmal fand sie Überreste von Tieren, zerfetzte, verklumpte Vögel, die offensichtlich mit einem der stählernen Riesen kollidiert waren. Ohne Federn, mit dezimierten Gliedmaßen lagen sie irgendwo auf der Flur, verbrannt, verstümmelt, nicht
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