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Schwaben-Herbst

Schwaben-Herbst

Titel: Schwaben-Herbst
Autoren: Klaus Wanninger
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noch ein paar Jahre älter, überlegte er, ein Rentner, alten Erinnerungen nachsinnend. Er überlegte, ob er ihm ausweichen solle, wurde von der Neugier auf das, was den Alten so bewegte, übermannt. Der Mann blieb vor ihm stehen, reichte ihm das Blatt, deutete auf den Text.
    Seltsame Zeitung, war sein erster Gedanke. Außen die gewohnte Aufmachung mit dicken Lettern, einer weitgehend nackten Frau, Autoreklame und der eine halbe Seite füllenden Schlagzeile Der Skandal des Jahres, auf der Innenseite alles, bis auf einen Artikel mit unbeschriebenem Papier überklebt. Er starrte auf den Text, der dort prangte, weil der Alte mit seinem Finger darauf zeigte, las die Überschrift: Martin Grauselmaier und seine Partei für ihre großen Verdienste um die Einführung des Privatfernsehens vor zwanzig Jahren von höchster Stelle geehrt.
    Er sah das Foto eines älteren Mannes, der darunter abgebildet war, verstand nicht, was das Ganze sollte. »Wieso zeigen Sie mir das?«, fragte er, schaute seinem Gegenüber in die Augen. Im gleichen Augenblick wusste er, woran er war. Er hatte die Person erkannt, bevor er die Stimme hörte. Die Augen, arbeitete es in ihm, diese Augen.
    »Deshalb habe ich dieses Schwein erledigt, weil er genauso Schuld trägt wie ihr auch«, hörte er die ihm seit einem Jahr bekannte Stimme sagen.
    Er fühlte sich wie erstarrt, riss seine Hand nach unten, tastete nach der Waffe. Im selben Moment spürte er den schrecklichen Schmerz im Gesicht, die Nässe auf dem Hemd und der Hose.
    Dann peitschten die Schüsse unmittelbar vor ihm auf.

13.
    Der Anblick der Leiche bot keinerlei Überraschungen. Von Säure zerfressene Mundpartie, zerfetzter Stoff im Schambereich, zwei Schüsse im Oberkörper. Das Gesicht zur Grimasse erstarrt, der Mund vor Schmerz und Empörung weit aufgerissen. Was nicht passte, war die schlagzeilenträchtige Zeitung unter der Hand des Toten.
    »Ulrike Maier?«, fragte Neundorf, als sie sich um Atem ringend dem toten Körper näherten. Alle Entstellung konnte nicht darüber hinweg täuschen, dass sie sich irrte.
    »Ein Mann«, meinte Braig, fühlte den Puls, sah sich in dem bestätigt, was er schon vorher geahnt hatte: Wieder einmal zu spät.
    Sie waren losgerannt, sobald sie die Schüsse gehört hatten, den asphaltierten Weg durch die Weinberge, waren am Waldrand auf die Leiche gestoßen, keine hundert Meter von ihrem Ausgangspunkt entfernt.
    »Do isch er nagrannt, der Kerl«.
    Braig sah auf, starrte in das aschfahle Gesicht eines jungen Mannes, der sich mit beiden Händen an den Stamm eines Rebstocks klammerte. Er trug blaue Arbeitskleidung, zitterte am ganzen Leib, wies mit zaghaften Bewegungen den Hang abwärts.
    »Sie haben ihn gesehen?«, fragte Braig.
    Der Mann wollte antworten, brachte nur ein mühsames Nicken zustande.
    Er hörte Neundorf in ihr Handy sprechen, verstärkte den Griff um seine Waffe. »In diese Richtung?«, vergewisserte er sich, nach unten deutend.
    Der Mann signalisierte Zustimmung.
    »Ich versuche es«, rief er seiner Kollegin zu, »der kann noch nicht weit sein.«
    Er sprang in den Weinberg, folgte dem steil abfallenden Hang zwischen den Rebstöcken nach unten. Blätter, verfaulte und matschige Trauben lagen auf dem Boden, Wurzeln der Weinstöcke ragten daraus hervor. Er stolperte, kam ins Straucheln, fing sich in letzter Sekunde ab. Als er den asphaltierten Weg erreicht hatte, spürte er die Schmerzen im linken Knie. Er schaute nach beiden Seiten, sah zwei-, dreihundert Meter weiter eine Gestalt davoneilen, in seltsamem, stark hinkendem Lauf. Dies musste sie sein! Die Person, die sie so verzweifelt suchten.
    Er hörte Neundorfs Rufen hinter sich. »Du darfst es nicht allein versuchen. Das ist zu gefährlich.«
    Er winkte ihr zu, spurtete den asphaltierten Weg entlang. Ein dunkles Kleidungsstück lag auf dem Boden, eine angeschmutzte, an mehreren Stellen verätzte Jacke, dann, wenige Meter weiter, zwei große Spritzen, ähnlich denen, die Braig vor einiger Zeit im Krankenhaus gesehen hatte. Er wich den Fundstücken aus, hörte Neundorfs Keuchen hinter sich. »Die richtige Spur.«
    Braig drehte sich nicht um, rannte unentwegt weiter. Die Schmerzen in seinem Knie nahmen zu. Vor ihm, gerade mal noch siebzig, achtzig Meter entfernt, verschwand die flüchtige Person hinter der nahen Wegbiegung. Er nahm seine Pistole hoch, verschärfte sein Tempo. Der Täter durfte auf keinen Fall entkommen.
    Neundorf sah ihren Kollegen um die Ecke verschwinden, packte ihre Waffe so fest,
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