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Schulterwurf

Schulterwurf

Titel: Schulterwurf
Autoren: Andreas Schlueter , Irene Margil
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Wettkampf«, sagte der Mann.
    Linh starrte ihn entgeistert an: Vor ihr stand in voller Lebensgröße Yamada Yuuto. Auch die anderen brachten kein Wort heraus.
    »Zeigst du mir einen freien Platz?«, fragte er Linh höflich.
    Linh war noch zu verdattert, um zu antworten. Außerdem sah sie, dass etwas nicht stimmte.
    Das Gesicht des Großmeisters war fast weiß und schweißnass, als ob nicht sie, sondern er gerade drei aufregende Kämpfe hinter
     sich gebracht hätte. Seine Stirn schlug Sorgenfalten. Sein interessantes Lächeln, das Blitzen in seinen Augen: verschwunden!
     Der Meister schien wie verwandelt. Er wirkte verstört und in sich gekehrt. Das war nicht der gleiche freundliche, offene und
     humorvolle Yamada Yuuto wie noch vor Kurzem bei seinem Vortrag.
    Kaum war er wieder aufgetaucht, machte sie sich erneut Sorgen um ihn. Am liebsten wäre sie jetzt einer alten Weisheit von
     Laotse gefolgt, die besagt:»Nimm dir jeden Tag eine halbe Stunde Zeit für deine Sorgen; in dieser Zeit mache ein Schläfchen.«
    Ilka stieß Linh an. »Der Sitzplatz!«, raunte sie Linh zu.
    »O ja, natürlich!«, stotterte Linh. »Entschuldigen Sie. Hier vielleicht. Von hier aus können Sie den zweiten Teil des Wettkampfes
     am besten verfolgen.«
    »Den zweiten Teil?«, fragte der Großmeister, während er den Platz einnahm, den Linh ihm anbot.
    Linh erklärte ihm, dass er den ersten verpasst hatte. Der Großmeister entschuldigte sich und schien sein Fehlen wirklich zu
     bedauern. Also war er nicht freiwillig fortgeblieben, sondern aufgehalten worden. Aber von wem? Und wo? Schickte es sich,
     einen Gast so etwas zu fragen? Linh traute sich nicht.
    Der Direktor warf Lennart einen erleichterten und zufriedenen Blick zu.
    Aber nichts hatte sich geklärt. Irgendetwas war mit dem Großmeister geschehen.
    »Wie waren denn deine Kämpfe?«, fragte der Großmeister. Linh erzählte es ihm. Sie machte eine kleine Pause, nahm ihren ganzen
     Mut zusammenund fügte an: »Den zweiten Kampf habe ich verloren, weil ich mir Sorgen um Sie gemacht habe.«
    Linh schlug das Herz bis zum Hals. War das jetzt frech gewesen? Sie konnte doch nicht dem Großmeister die Schuld dafür geben,
     den Kampf verloren zu haben. Aber es entsprach der Wahrheit.
    Der Großmeister legte die Hand auf Linhs Kopf, schloss kurz die Augen, nickte kaum merklich mit dem Kopf und sagte ihr: »Wenn
     man mit den Gedanken nicht beim Kampf ist, wird man ihn verlieren. Lerne dich zu konzentrieren, egal, was passiert.«
    Linh überlegte, ob sie etwas antworten sollte, doch da ertönte bereits der erste Gong, der das Ende der Pause signalisierte.
     Alle Judokas hatten sich wieder rund um die Matte zu versammeln, aufgeteilt in die zwei Mannschaften, um sich für die zweite
     Hälfte des Wettkampfes bereit zu zeigen und dem Gegner Respekt zu zollen.
    »Viel Glück!«, rief Michael ihr nach.
    »Judo ist kein Glücksspiel«, korrigierte der Großmeister.
    Blödmann!, dachte Michael und hätte am liebsten sofort nachgefragt, wo der Großmeister denn gesteckt hatte. Doch ein scharfer
     Blick von Ilka ließ ihn verstummen.
    Auf Linh wartete eine der stärksten Judoka der Grünheimer. Bisher war ihr in fünf Begegnungen gegen Linh erst ein Sieg gelungen.
     Für heute hatte die Grünheimerin sich den schnellen Sieg vorgenommen. Ein Blick in ihre glühenden Augen verriet es. Linh setzte
     der wilden Glut ruhig fließendes Blut entgegen. Der Großmeister war da. Alles war gut. Linh konnte seinem Rat folgen und sich
     auf ihren Kampf konzentrieren. Sie würde zeigen, wie gut sie war. Sie würde seiner Lehre alle Ehre machen.
    »Denke nicht ans Gewinnen. Doch denke darüber nach, wie du nicht verlierst.«
    Linh schloss die Augen und nahm sich fest vor, gegen ihre stärkste Gegnerin nicht zu verlieren. Und sie wusste auch schon,
     wie sie das anstellen würde. Die Grünheimerin hatte Linh mit Sicherheit in den ersten drei Kämpfen beobachtet. Besonders der
     dritte würde ihr in Erinnerung geblieben sein. Linh hatte schneller zugepackt, als eine Schlange biss. Jetzt plante sie exakt
     das Gegenteil. Linh nahm sich vor, die wilde Entschlossenheit der Gegnerin mit ihrer Ruhe zu zerbrechen.
    Wie erwartet, ging die Gegnerin von der ersten Sekunde an forsch auf Linh los. Linh griff sie an denBeine der Gegnerin zu beobachten und in den Fingerspitzen zu fühlen, wohin sich deren Kräfte jeweils verlagerten.
    Die Gegnerin versuchte einen Fußfeger anzusetzen. Linh wich ihm aus. Die Gegnerin probierte einen
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