Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
und hab auf dich und Trixie gewartet. Ich war sicher, dass die Polizei mich abholen würde, noch ehe ihr nach Hause kamt. Ich wollte es dir sagen …«
    Â»Hast du aber nicht«, sagte Daniel.
    Â»Ich hab’s versucht.«
    Daniel erinnerte sich daran, wie er Trixie nach dem Winterfest nach Hause gebracht hatte, dass Laura so außer sich gewesen war. Oh, Daniel , hatte sie gesagt. Es ist was passiert. Damals hatte er gedacht, seine Frau wäre genau wie er wegen Trixies Verschwinden so aufgewühlt. Er hatte geglaubt, dass Laura ihm eine Frage stellte, dabei hatte sie ihm in Wahrheit etwas mitgeteilt.
    Sie schlang fest die Arme um sich. »Zuerst hieß es, er hätte Selbstmord begangen, und ich dachte schon, ich hätte das vielleicht alles nur geträumt, dass es gar nicht so passiert war. Aber dann lief Trixie weg.«
    Und das wirkte wie ein Schuldgeständnis , dachte Daniel. Selbst für mich .
    Â»Du hättest es mir sagen sollen, Laura. Ich hätte …«
    Â»Du hättest mich gehasst.« Sie schüttelte den Kopf. »Daniel, früher hast du mich angesehen, als hätte ich die Sterne an den Himmel gezaubert. Aber nachdem du wusstest, dass ich … du weißt schon, einen anderen hatte … war das vorbei. Du konntest mir nicht mal mehr in die Augen sehen.«
    Wenn Yupik-Eskimos einem anderen begegneten, wandten sie den Blick ab. Nicht etwa, weil sie ihn missachteten, sondern im Gegenteil. Weil sie wussten, dass man einen Menschen dann am klarsten sehen konnte, wenn man ihn nicht anschaute.
    Â»Ich wollte, dass du mich wieder so ansiehst wie früher«, sagte Laura mit zittriger Stimme. »Ich wollte, dass es wieder so wird, wie es einmal war. Deshalb konnte ich es dir nicht sagen, auch wenn ich es oft versucht habe. Ich war dir schließlich schon untreu gewesen. Was hättest du wohl getan, wenn ich dir gesagt hätte, dass ich einen Menschen umgebracht habe?«
    Â»Du hast ihn nicht umgebracht«, sagte Daniel. »Du wolltest es doch nicht.«
    Laura schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen, als hätte sie Angst, etwas auszusprechen. Und er verstand sie, weil er selbst die gleichen Empfindungen gehabt hatte: Manchmal werden unsere Wünsche tatsächlich wahr. Und manchmal ist das genau das Schlimmste, was uns passieren kann.
    Sie vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich weiß nicht, was ich wollte und was nicht. Es ist alles so durcheinander. Ich kenne mich selbst nicht mehr.«
    Das Leben konnte viele Formen annehmen, während man damit beschäftigt war, die eigenen Dämonen zu bekämpfen.
    Â»Aber ich kenne dich«, sagte Daniel.
    Selbst heute – selbst Tausende Meilen von den Yupik-Dörfern entfernt –, so seine Überzeugung, konnten sich Menschen noch immer in Tiere verwandeln und umgekehrt. Und wenn man einen Ort hinter sich lassen wollte, konnte man sich nicht dagegen wehren, ihn mitzunehmen. Zwei Menschen, die lange genug zusammenlebten, konnten Eigenschaften austauschen, bis sie Teile von sich selbst im anderen wiederentdeckten. Wenn du eine Persönlichkeit aufgibst, stellst du womöglich irgendwann fest, dass sie sich im Herzen des Menschen eingenistet hat, den du am meisten liebst.
    Laura wandte ihm das Gesicht zu. »Was meinst du, wie es nun weitergeht?«
    Daniel hatte keine Antwort darauf. Er war nicht mal sicher, ob er die richtigen Fragen hatte. Aber er würde Trixie abholen, und sie würden nach Hause fahren. Er würde den besten Anwalt engagieren, den er finden konnte. Und früher oder später, wenn Laura zu ihnen zurückkam, würden sie sich neu erfinden. Bestimmt würden sie nicht ganz von vorn anfangen, aber sie konnten einen Neuanfang machen.
    Genau in diesem Augenblick flog ein Rabe über das Polizeigebäude, segelte in den Innenhof und stieß Laute aus, die sich anhörten wie fließendes Wasser. Daniel beobachtete ihn aufmerksam, so wie er das in einem anderen Leben gelernt hatte. Ein Rabe konnte vieles sein – ein Schöpfer, ein Betrüger –, je nachdem, welche Gestalt er gerade annehmen wollte. Aber wenn er einen Halbkreis flog und sich dann einmal um sich selbst drehte, dann konnte das nur eines bedeuten: Er schüttelte das Glück von seinem Rücken – und jeder konnte es aufheben. Man musste nur sehen, wo es hinfiel.



Liebe Leserinnen, liebe Leser,
    in diesem Roman umwirbt der Comickünstler Daniel Stone seine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher