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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig
Autoren: Jodi Picoult
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sich das Gegenteil auch eingeredet hatte.
    Er kniff die Augen zusammen – es war neun Uhr morgens, aber im Dezember gab es in Alaska kaum Tageslicht. Sein Atem hing vor ihm wie Gaze. Durch den Schneevorhang hindurch meinte er für einen kurzen Moment ihr leuchtendes Haar sehen zu können – einen Fuchsschwanz, der unter einer Wollmütze hervorlugte –, aber so rasch, wie er aufgetaucht war, verschwand er auch wieder.
    Die Yupik hatten auch ein Wort dafür, wenn es so kalt draußen war, dass man Wasser aus einer Tasse in die Luft schleudern konnte und es hart wie Glas wurde, ehe es auf den gefrorenen Boden schlug: cikuq’erluni . Eine falsche Bewegung , dachte Daniel, und alles um mich herum zersplittert . Also schloss er die Augen, gab Vollgas und überließ sich ganz seinen Instinkten. Sogleich kehrten die Stimmen der Alten, die er einmal gekannt hatte, zu ihm zurück – Tannennadeln sind auf der Nordseite der Bäume härter ; auf flachen Sandbänken wölbt sich das Eis –, Hinweise, wie man sich orientieren konnte, wenn die Welt um einen herum eine andere Gestalt annahm.
    Plötzlich musste er daran denken, wie sich Trixie damals vor der Faneuil Hall an ihn geschmiegt hatte, als sie wieder vereint waren. Ihr Kinn hatte sich knapp über seine Schulter geschoben, und ihr Körper war vor lauter Vertrauen ganz schlaff geworden. Obwohl sie ihm verloren gegangen war, hatte sie sich darauf verlassen, dass er sie sicher nach Hause brachte. Rückblickend erkannte Daniel, dass sein eigentlicher Fehler an jenem Tag nicht darin bestanden hatte, Trixie für einen Moment aus den Augen zu lassen. Nein, sein Fehler war gewesen zu glauben, man könne geliebte Menschen von einem Moment auf den anderen verlieren, wo es doch in Wirklichkeit ein Prozess war, der Monate, Jahre, ihr ganzes Leben lang dauerte.

    Es war so kalt, dass die Wimpern gefroren, kaum dass man ins Freie trat, und sich die Nasenlöcher anfühlten, als wären sie aus gesprungenem Glas. Es war eine Kälte, die einen Menschen durchdrang wie ein Fliegengitter. Trixie Stone fröstelte auf dem gefrorenen Flussufer unterhalb des Schulhauses in Tuluksak, das als Checkpoint-Zentrale diente, sechzig Meilen von der Stelle entfernt, wo das geliehene Snowmobil ihres Vaters einen Schriftzug durch die Tundra pflügte, und sie suchte nach Gründen, warum sie dort bleiben sollte, wo sie war.
    Leider gab es mehr Gründe – bessere Gründe –, wieder zu gehen. Erstens war es ein Fehler, zu lange an einem Ort zu bleiben. Zweitens würden die Leute früher oder später spitzkriegen, dass sie nicht die war, für die man sie hielt, erst recht, wenn sie jede Aufgabe verbockte, die sie ihr gaben. Aber wie hätte sie denn wissen können, dass alle Schlittenführer, die Musher, während des Kuskokwim-300-Rennens an mehreren Punkten auf der Strecke zusätzlich Stroh für ihre Hunde bekommen sollten, auch hier in Tuluksak? Oder dass man einem Musher zwar zeigen durfte, wo Futter und Wasser gelagert waren, dass man ihm aber nicht beim Füttern der Hunde helfen durfte? Nachdem sie sich diese beiden Patzer geleistet hatte, war Trixie dazu degradiert worden, die aus den Teams ausgeschiedenen Hunde zu beaufsichtigen, bis die Buschpiloten kamen, um sie zurück nach Bethel zu fliegen.
    Bislang war erst ein Hund ausgeschieden, ein Husky namens Juno. Erfrierungserscheinungen – so die offizielle Begründung des Mushers. Der Hund hatte ein braunes und ein blaues Auge, und der Gesichtsausdruck, mit dem er Trixie anstarrte, ließ vermuten, dass er sich ungerecht behandelt fühlte.
    Trixie fragte sich, ob sie Juno dem Musher mit dem restlichen gestohlenen Geld aus dem Portemonnaie abkaufen könnte. Sie dachte, die weitere Flucht wäre vielleicht leichter, wenn sie einen Begleiter hätte.
    Sie überlegte, was Zephyr und Moss und die anderen zu Hause in dem anderen Bethel – Bethel in Maine – wohl sagen würden, wenn sie sie jetzt sehen könnten, wie sie auf einer Schneewehe hockte, getrockneten Lachs aß und auf das wilde, vielstimmige Gebell lauschte, das den nächsten Hundeschlitten ankündigte. Wahrscheinlich würden sie denken, sie habe den Verstand verloren. Sie würden sagen: Wer bist du, und was hast du mit Trixie Stone gemacht? Eine Frage, auf die sie selbst gern die Antwort wüsste.
    Sie sehnte sich danach, in ihren alten Flanellschlafanzug zu
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