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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig
Autoren: Jodi Picoult
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sie wären klassisch, und hatte sie von den anderen Schülern zeichnen lassen. Aber was ihr Angst machte, das waren ihre Augen. Früher hatten sie eine dunkle moosige Farbe, doch jetzt waren sie mattgrün, so blass, dass es schon fast keine Farbe mehr war. Trixie fragte sich, ob man die Pigmente wegweinen konnte.
    Sie klappte den Schminkspiegel zu, doch dann öffnete sie ihn wieder und legte ihn auf den Boden. Sie musste dreimal zutreten, bis der Spiegel zersprang. Trixie warf die Plastikfassung und Scherben weg, bis auf eine. Die hatte die Form einer Träne, rund an einem Ende und spitz wie ein Dolch am anderen.
    Sie rutschte an der gefliesten Toilettenwand herunter, bis sie unter dem Waschbecken saß. Dann zog sie die Glasscherbe über die weiße Leinwand an der Innenseite ihres Unterarms. Doch fast im gleichen Moment bereute sie es schon wieder und wünschte, sie könnte es ungeschehen machen. Verrückte Mädchen machten so etwas, Mädchen, die wie Zombies umherschlichen.
    Zu spät.
    Trixie spürte das Ziehen, als die Haut sich teilte, das süße Herausquellen von Blut.
    Es tat weh, aber nicht so weh wie alles andere.

    Â»Man muss ziemlich böse sein, um in der untersten Höllentiefe zu landen«, sagte Laura mit Blick auf ihre Studenten. »Und Luzifer war mal Gottes rechte Hand. Also, was ist da schiefgelaufen?«
    Es war zunächst eine schlichte Meinungsverschiedenheit, dachte Laura. »Eines Tages sagte Gott zu seinem guten Freund Luzifer, er wolle diesen tollen kleinen Spielzeugfiguren, die er gebastelt hatte – nämlich den Menschen –, das Recht zugestehen, ihr Handeln selbst zu bestimmen. Freier Wille. Luzifer dagegen fand, diese Macht sollte allein den Engeln vorbehalten bleiben. Er zettelte eine Rebellion an und verlor auf der ganzen Linie.«
    Laura schritt langsam durch die Gänge. Ein Nachteil des kostenlosen Internetzugangs am College war der, dass die Studenten während der Seminare online einkauften und Pornos herunterluden, wenn die Dozenten nicht aufpassten. »Was das Inferno so genial macht, sind die contrapassi – die passenden Strafen für die jeweiligen Vergehen. Bei Dante spiegelt die Buße der Sünder ihre Missetat auf Erden wider. Luzifer wollte nicht, dass der Mensch frei entscheiden kann, also endet er nach seinem Sturz eingefroren im Eis. Wahrsager tragen den Kopf nach hinten gedreht auf den Schultern. Ehebrecher bleiben in alle Ewigkeit in Fleischeslust verbunden, doch Befriedigung bleibt ihnen versagt.« Laura verdrängte das Bild, das in ihr aufstieg, und scherzte: »Anscheinend sind die klinischen Versuchsreihen für Viagra in der Hölle gemacht worden.«
    Ihre Studenten lachten, während sie wieder nach vorn ging. »Um das Jahr 1300 – ehe die Italiener sich Star Wars oder den Herrn der Ringe zu Gemüte führen konnten – stand dieses epische Gedicht für den ultimativen Kampf von Gut gegen Böse«, sagte sie. »Ich persönlich finde das Böse vielschichtiger und lebendiger als das Gute.«
    Die vier älteren Studenten, die das Seminar als Tutoren betreuten, saßen in der ersten Reihe. Drei von ihnen hatten ihre Laptops auf den Knien. Da war Alpha, eine selbst ernannte Retrofeministin, was, soweit Laura das einschätzen konnte, lediglich hieß, dass sie andauernd irgendwelche Reden über die moderne Frau schwang, die sich einfach zu weit von Heim und Herd entfernt hätte, um sich zu Hause überhaupt noch wohlfühlen zu können. Neben ihr war Aine gerade damit beschäftigt, sich irgendwas auf ihren Alabasterarm zu schreiben – vermutlich etwas selbst Gedichtetes. Naryan, der schneller tippen konnte, als Laura atmete, starrte sie über seinen Laptop hinweg an, eine Krähe, die auf einen Krümel lauerte. Nur Seth lümmelte sich auf seinem Platz, die Augen geschlossen, und sein langes Haar fiel ihm ins Gesicht. Schnarchte er etwa?
    Sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie wandte Seth Dummerston den Rücken zu und schaute kurz zu der Wanduhr hinüber. »So, das war’s für heute. Lesen Sie den fünften Canto«, sagte Laura. »Nächsten Mittwoch befassen wir uns dann mit dem Thema: ausgleichende Gerechtigkeit im Gegensatz zu göttlicher Strafe. Ein schönes Wochenende wünsche ich.«
    Die Studenten griffen nach ihren Rucksäcken und Laptops, plauderten über die Bands, die später auftreten
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