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Schuldig

Schuldig

Titel: Schuldig
Autoren: Jodi Picoult
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ganze Wahrheit. Sie wollte einen Neubeginn, und wenn sie zumindest einen Menschen dazu brachte, ihr zu glauben, dann war das schon mal ein Anfang. Sie hob den Kopf und sah Willie an. »Zu Hause bin ich von einem Jungen vergewaltigt worden, von dem ich dachte, ich würde ihn lieben«, sagte Trixie, denn so war es nun einmal für sie gewesen. Auf Formulierungen kommt es nicht an, wenn du zwischen den Beinen blutest und das Gefühl hast, als wärst du von innen nach außen zerbrochen.
    Â»Bist du deshalb weggelaufen?«
    Trixie schüttelte den Kopf. »Er ist tot.«
    Willie fragte nicht, ob es ihre Schuld war. Er nickte bloß, und sein Atem schwebte in der Luft wie zarte Spitze. »Manchmal kann es so kommen«, sagte er.

    In den Räumen des Dorfrates wurde Bingo gespielt, und Laura war in dem winzigen Haus allein geblieben. Sie hatte jede Ausgabe der Tundra Drums zweimal gelesen, sogar welche, die schon im Altpapier lagen. Sie hatte ferngesehen, bis ihr die Augen wehtaten.
    Sie dachte darüber nach, wer sich freiwillig dafür entschied, an einem Ort zu leben, an dem Gespräche anscheinend unnormal waren und die Sonne sich nur sporadisch sehen ließ. Was hatte Daniels Mutter hierhergeführt?
    Laura war Lehrerin, wie Annette Stone. Sie wusste, dass man die Welt mit jedem jungen Menschen ein kleines Stück verändern konnte. Aber wie lange war man bereit, das Glück des eigenen Kindes für das der anderen zu opfern?
    Vielleicht hatte Daniels Mutter gar nicht fortgehen wollen. Daniel hatte Laura von seinem rastlosen Vater erzählt. Manche Menschen traten mit solcher Wucht in dein Leben, dass sie einen Abdruck in deiner Zukunft hinterließen. Laura konnte sich durchaus vorstellen, dass man sein Leben lang nur noch auf die Rückkehr eines solchen Menschen wartete.
    Es war eine Entscheidung, die Annette Stone für sie beide getroffen hatte, eine Entscheidung, die für ihren Sohn von Nachteil war. Laura kam das selbstsüchtig vor, und mit Selbstsucht kannte sie sich weiß Gott aus.
    War es rücksichtslos, das eigene Kind einer so harten Welt auszusetzen? Oder war es hart, aber doch liebevoll, dafür zu sorgen, dass dein Kind auch ohne dich überleben konnte? Wenn Daniel von seinen Schulkameraden nicht so schikaniert worden wäre, hätte er sich vielleicht hier zu Hause gefühlt. Vielleicht wäre er einer dieser gesichtslosen Jugendlichen geworden, wie Cane, die keinen Ausweg mehr sahen. Vielleicht wäre er in Alaska geblieben und hätte Zeit seines Lebens auf etwas gewartet, das nie kam.
    Vielleicht hatte Annette Stone nur dafür gesorgt, dass Daniel einen Ausweg hatte, weil sie für sich selbst keinen mehr sah.
    Draußen fuhr ein Wagen vor. Laura sprang auf und rannte in den Vorraum, hoffte, dass Daniel mit Trixie zurückgekommen war. Aber der Wagen hatte ein rotierendes Blaulicht auf dem Dach, das lange Schatten auf den Schnee warf.
    Laura nahm eine gerade Haltung an. Man tat, was man tun musste, um sein Kind zu schützen. Selbst Dinge, die sonst kein Mensch verstehen konnte.
    Â»Wir suchen nach Trixie Stone«, sagte der Polizist.

    Auf der Rückfahrt nach Akiak schlief Trixie ein. Daniel hatte ihr seine Mütze und Jacke gegeben. Sie saß auf dem Snowmobil, hatte die Arme um ihn geschlungen und drückte den Kopf gegen seinen Rücken. Er folgte der untergehenden Sonne, ein rosafarbenes Band, das von der Bühne des Horizonts herabhing.
    Daniel wusste nicht recht, was er von dem Geständnis seiner Tochter halten sollte. In diesem Teil der Welt glaubten die Menschen, dass ein Gedanke jederzeit zur Tat werden konnte. Ein Wort, das nur in deinem Kopf war, hatte ebenso viel Macht, zu verletzen oder zu heilen, wie das ausgesprochene. In diesem Teil der Welt spielte es keine Rolle, was Trixie gesagt oder nicht gesagt hatte: Was Jason Underhill Trixie angetan hatte, galt als Vergewaltigung.
    Er war sich außerdem schmerzlich der Dinge bewusst, die Trixie nicht ausgesprochen hatte: dass sie Jason nicht getötet hatte, dass sie unschuldig war.
    In Akiak fuhr Daniel mit Vollgas die Uferböschung hoch und am Postamt vorbei zu Canes Haus. Er bog um die Ecke und sah den Polizeiwagen.
    Einen kurzen Moment lang dachte er: Ich habe mich schon einmal neu erfunden, ich kann es wieder tun. Er konnte weiterfahren, bis kein Benzin mehr im Tank war, und dann würde er für sich und Trixie eine Schutzhütte bauen. Er würde ihr
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