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Schuld: Drama (bis Mitte Juni 2013 kostenlos)

Schuld: Drama (bis Mitte Juni 2013 kostenlos)

Titel: Schuld: Drama (bis Mitte Juni 2013 kostenlos)
Autoren: Jay S.
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noch nicht komplett in seine Einzelteile zerfallen ist.“
    Ich bin erleichtert, als Rosser vorausgeht und ich wieder die Kontrolle habe. Er führt mich an zwei geschlossenen Halbglastüren vorbei zu einer schmalen Wendeltreppe. Das Knarzen der Stufen lässt mich meine Aussage „ Außen nix, innen fix“ auf „ Außen nix, innen 500 vor Christus “ korrigieren.
    Doch ich lasse den Gedanken Gedanke sein und folge ihm brav nach oben. In andern Ländern würde man von einem Haus in diesem Zustand wohl nicht einmal zu träumen wagen…
    Im ersten Stock angekommen öffnet Rosser die Tür zu seiner Linken und bittet mich mit einer Handbewegung hinein. Ich warte, bis er auf der anderen Seite des riesigen antiken Rosenholzpultes, das praktisch die Hälfte des Raumes beansprucht, Platz genommen hat und schaue mich in der Zwischenzeit um. An der Wand hängen neben einem Zertifikat mit der Aufschrift Dipl. Sozialwissenschaftler zahlreiche Naturbilder, vorwiegend Gebirge und Flüsse. Irgendwie erscheinen mir die Bilder unpassend, doch was hatte ich erwartet? Bilder von Vermissten?
     
    Als sich Rosser auf seinem Bürostuhl niederlässt, tue ich es ihm gleich. Ich nehme meine Fragen und das Aufnahmegerät hervor, lege das Gerät in die Mitte des Tisches und lege das Notizblatt vor mich auf den Schreibtisch.
    Rosser beobachtet dabei jede meiner Bewegungen peinlich genau. Ich frage mich, ob er überhaupt schon einmal ein Interview gegeben hat und bin versucht, die Frage gleich miteinzubeziehen, doch ich will mich nicht schon jetzt unbeliebt machen und damit riskieren, kurzangebundene Antworten zu erhalten. Interviewt zu werden erscheint einigen wie ein Verhör, für andere ist es ein Aspekt der Selbstverwirklichung und Bestätigung, doch das ist auf den ersten Blick selten einschätzbar.
     
    Bevor ich starte, durchbreche ich das Schweigen mit ein paar Auflockerungsfragen. 
    „Sind sie schon lange in diesem Haus?“
    Rosser schaut zuerst zum Aufnahmegerät, dann zu mir und schließlich wieder zum Aufnahmegerät.
    „Die Frage gehört noch nicht zum Interview, reines Interesse.“
    „Ach so.“, antwortet Rosser. „Nun, zuerst waren wir in der Innenstadt, doch die Miete war einfach zu hoch.“
    „Verständlich, wenn Ihnen der Staat nicht unter die Arme greift.“, sage ich nickend. 
    „Sie sagten wir. Arbeiten Sie mit jemandem zusammen?“, hake ich nach. 
    „Meine Assistentin und ich. Ich arbeite nebenbei als Unternehmensberater. Frau Daniela Suter hilft mir aus, wenn ich geschäftlich abwesend bin, Ferien habe oder sonst ein Notfall ist.“
    Notfall ? will ich fragen, doch dann entscheide ich, das Interview zu starten und die Frage bei Gelegenheit miteinzubeziehen.
     
    „Ist es in Ordnung, wenn wir mit dem Interview beginnen?“, frage ich Rosser.
    „Sicher doch. Deswegen sind Sie ja hier, oder?“, antwortet er mit einer Geste Richtung Aufnahmegerät.
    Ich drücke auf den Aufnahmeknopf und rufe mir die erste Frage ins Gedächtnis. Auf die Notizen will ich so selten wie möglich zurückgreifen.
     
    „Herr Rosser, Sie leiten seit fünf Jahren die Vermisstenstiftung Spes. Studiert haben Sie Wirtschaft und Sozialwissenschaften. Wie sind auf die Idee gekommen, eine Vermisstenstiftung zu gründen?“ 

    „Das Thema hat mich beschäftigt, seit ich das erste Mal damit konfrontiert wurde. Das war im Alter von sechs Jahren, als eine damalige Freundin aus dem Kindergarten, Simona Bucher, eines Morgens spurlos verschwunden war.“
     
    „Von dem Fall habe ich gelesen. Sie wurde nie gefunden, oder?“
    Es geht um das Mädchen auf dem Foto.
     
    „Nein. Und das wird sie wohl auch nie.“, antwortet Rosser resigniert. „Sie wäre heute zweiunddreißig Jahre alt, also gleich alt wie ich.“
     
    Das bringt mich zu Frage zwei.
    „Wie viele der Fälle werden nie aufgelöst?“
     
    „Von den rund 5000 Vermissten, die hierzulande jedes Jahr verschwinden, werden im Durchschnitt ein Prozent, sprich fünfzig Fälle nicht aufgelöst. Das klingt nach wenig, aber es sind immer noch fünfzig zu viel“
     
    Während ich seine Antwort nachklingen lasse, blicke ich auf die Notizen, weil ich in diesem Moment völlig vergessen habe, was ich noch für Fragen hatte, geschweige denn, welche die nächste war. Ich fühle mich plötzlich unwohl. Ich weiß nicht, ob es an dem Typen liegt oder am Gedanken an die vermissten Menschen oder vielleicht auch nur an dem seltsamen alten Haus. Ich versuche, mich zusammenzureißen und frage: 

    „Gibt
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