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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig
Autoren: Katrin Jäger
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ein ganz weiches Handtuch habe ich genommen.«
    Martha ließ Viktoria los. Sie hockte immer noch auf dem Fußboden, versunken in die Vergangenheit. Dann stand sie mühsam auf, ging zur Anrichte und zog die Holzschublade auf. »Hier, damit habe ich die Nabelschnur durchgeschnitten.«
    Viktoria zuckte zurück, Martha hielt ihr ein kleines, scharfes Küchenmesser entgegen. Sie kam näher.
    »Doch mein Kätzchen war zu spät, sein Papa war längst weggegangen. So lange hat es mich warten lassen, zu lange hat es mich warten lassen. Deshalb musste es sterben. Deshalb. Armes kleines Kätzchen! Es hat gar nicht geschrien, war ganz still.«
    Viktoria stand auf und ließ das Messer in Marthas Händen nicht aus den Augen. »Ich habe es vergraben, dort, wo auch sein Papa einmal lag. Ein Bett aus Muttererde habe ich ihm gemacht, es wird jetzt beschützt vom Frauenmantel.«
    »Es war eine Totgeburt«, sagte Viktoria.
    Martha schüttelte den Kopf. »Ich habe gemacht, dass es tot ist. Ich.«
    »Es war eine Totgeburt.«
    »Es hat so traurig ausgesehen, weil ich ihm den Vater genommen habe. Ich habe es gedrückt, ganz fest. Und da hat es nicht geatmet. Es hat nicht geatmet.«
    »Es war eine Totgeburt. Sie konnten nichts dafür.«
    »Ich konnte, nein, doch, ich konnte dafür. Ich habe gemacht, dass es nicht strampelt.« Das Messer lag immer noch in ihrer Hand. Viktoria ging jetzt auf sie zu, streckte ihre Hand aus.
    »Sie konnten nichts dafür. Das Kind war noch zu klein, als es geboren wurde. Es war nicht lebensfähig.«
    »Ja, es war so klein. So unendlich klein. Aber alles dran, der Mund, die Hände, ganz kleine Fingernägel. Es wollte mich nicht als Mutter. Da bin ich wütend geworden. Ich habe es geschüttelt, damit es endlich atmet. Doch es hat die Luft angehalten.«
    »Sie haben es nicht getötet, es war schon tot.« Viktoria nahm das Messer. »Sie haben es nicht getötet, es war schon tot.« Sie sagte es noch drei, vier Mal. Und endlich, endlich schienen die Worte bei Martha anzukommen. Sie setzte sich auf den Küchenstuhl und sagte nichts mehr. Viktoria legte das Messer zurück in die Schublade. Sie sprach langsam und ganz deutlich wie eine Lehrerin. »Kai Westmark und ich haben die Knochen Ihres Kindes gefunden, und wir haben sie von einem Experten untersuchen lassen. Das Kind war noch gar nicht lebensfähig, als es auf die Welt kam, es war wahrscheinlich erst in der vierundzwanzigsten Woche.«
    Martha schüttelte heftig den Kopf. »Alles war dran!«
    »Ja, sicher, aber Sie haben es nicht getötet. Sie trifft keine Schuld.«
    »Keine Schuld? Ich bin eine Mörderin. Ich habe zwei Kindern den Vater genommen.«
    Viktoria wusste, dass es keinen Zweck mehr hatte. Sie trat an die Tür zum Garten und schaute hinaus. »Wo liegt er?«
    »Dein Vater?«
    Viktoria nickte. »Wo haben Sie ihn begraben?«
    Elisabeth Upphoff nahm ihr Mikrofasertuch und rieb damit über die Merkel 202. Richtig teuer war der grün-weiße Lappen gewesen, dazu noch die Reinigungspaste und das Trockentuch. Fast einhundert Euro. Sie hatte es Ferdinand nie gesagt, warum ihn aufregen. Dabei war sie nicht die Einzige, die beim Verkaufsabend das Portemonnaie gezückt hatte. Ihre Nachbarin Anke hatte geladen und vorgeführt, wie man ganz ohne Spülmittel blitzblanke Fenster bekommen konnte – vorausgesetzt, man hatte das geniale Mikrofasertuch. Und das Trockentuch. Und die Reinigungspaste – falls man mal die Dunstabzugshaube sauber machen wollte. Die Technik war es, worauf es ankam. Mit der rechten Hand schlüpfte man in den Wischlappen, der wie ein Handschuh ohne Finger aussah, mit der linken hielt man das Trockentuch. Kreisende Bewegungen rechts, danach kreisende Bewegungen links – und schwupp waren Fliegendreck und Staub und fettige Fingerabdrücke verschwunden. Es sah so leicht aus, und Elisabeth träumte sich in eine Welt ohne Putzstress und Hausfrauenfrust. Doch irgendwie ging es dann doch nicht von alleine, und ihre Schulter tat nach dem Fensterputzen in kreisenden Bewegungen mit dem patentierten Saubermach-Handschuh genauso weh wie in der Zeit, als sie noch klassisch flitschte. Doch jetzt war sie froh, das Tuch zu haben. Ein bisschen Wasser darauf, ein bisschen gerieben hier und da, das Supersaug-Handtuch hinterher – und die Gewehre sahen aus, als wäre nichts gewesen.
    Nachdem auch die Sauer 80 aussah wie neu, stellte sie die Waffen zurück in den Schrank. Die Flinte links, die Büchse rechts. Sie schloss ab, zog den Schlüssel ab und legte ihn
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