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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig
Autoren: Katrin Jäger
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werfe dir jetzt was durch den Briefschlitz. Als kleines Dankeschön und als Entschädigung für alles. Du hast dir sicher viele Gedanken gemacht und vielleicht ja auch Angst gehabt. Vor mir. Aber glaube mir, ich bin dir einfach nur dankbar.«
    Er glaubte ihr nicht. Es klapperte, und eine CD fiel auf die Flurfliesen. »Da steht Peter Fox drauf«, sagte sie. »Kennst du den?« Tim nickte im Dunkeln, aber er sagte nichts. Die überrumpelt mich nicht, dachte er. Und: Geil, Peter Fox.
    »Hab ich vorhin bei der Tombola gewonnen. Du warst doch auch da, oder?« Stille. »Ich werde jetzt fahren. Es wäre toll, wenn du deinen Eltern vielleicht nichts von der Munition erzählen würdest.«
    Ha, da ist also die versteckte Drohung, dachte Tim. Dann hörte er die Autotür. Der mintgrüne Corsa startete. Tim Möcke kroch wie ein Soldat durch den Flur und griff nach der CD. Fünf Minuten später klingelte es dreimal an der Tür. Doch Tim Möcke hörte nichts mehr.

21. Kapitel
     
    »Sie haben ihn gestoßen?« Viktoria erwachte aus ihrer Starre.
    Martha nickte.
    »Kein Selbstmord?«
    Martha schüttelte den Kopf.
    »Also habe ich nur geträumt? Von dem Baum und von ihm an diesem Baum?«
    Martha schüttelte wieder den Kopf. »Ich wollte, dass ihr davon träumt. Euer ganzes Leben lang solltet ihr ihn so sehen. Tot. Ich wusste, wann der Zug kommen würde, und ich hatte genug Zeit. Deine Mutter sollte denken, dass sie ihn umgebracht hat. Sie ganz alleine. Und es stimmte ja auch. Sie war schuld, sie. Ich, ich habe ihn nur gestoßen.«
    Viktoria schaute sich Martha an. Sie war zwar nicht klein, aber einen erwachsenen Mann an einen Baum zu hängen, das würde sie nicht schaffen. »Wie …?«
    Martha lächelte beinahe: »Wie ich es geschafft habe? Kein Problem, mein Mann war schließlich Landmaschinenhändler. Und mit dem kleinen McCormick kann ich umgehen.«
    Viktorias Kopf fühlte sich an wie eine Festplatte, die gerade neu geladen wurde. Bunte, seltsame Bilder flimmerten vor ihrem inneren Auge. Martha, mit kleinem Babybauch und rotem Trecker. Sie zieht den Toten an seinen Füßen erst die Treppe herunter und dann vor die Hintertür zum Garten. Dann senkt sie die Frontladerschaufel so, dass sie die Leiche hineinrollen kann. Sie geht in den Keller, sucht ein Seil. Dann tuckert sie mit dem kleinen roten Traktor zum Baum, die Frontladerschaufel ist oben, Bernhards Beine ragen über den Rand. Sie holt die Leiter, die sie sonst zum Apfelpflücken benutzt, und stellt sie an den Baum, klettert hoch und bindet das Seil fest. Die Schlinge legt sie um den Hals ihres toten Mannes. Sie singt dabei ein Wiegenlied. »La, le, lu, nur der Mann im Mond schaut zu.« Dann steigt sie wieder auf den Trecker, senkt die Frontladerschaufel ganz langsam und setzt rückwärts. Sie stellt den Traktor im Schuppen ab und setzt sich danach ans Küchenfenster. Noch eine gute Stunde, dann wird der Frühzug vorbeifahren. »Großer Gott«, Martha faltet die Hände und schaut in die Nacht. »Mach, dass sie sich ans Fenster setzt.«
    »Sie wollten uns verfluchen!«
    »Ich wollte, dass deine Mutter ihres Lebens nicht mehr froh wird, dass sie das Bild der eigenen Schuld nie wieder loswird.«
    »Hat geklappt. Auch bei mir. Ich war ja so ein böses, dreijähriges Mädchen und habe es verdient, dass man mich fertigmacht.« Viktoria wollte aufstehen, doch sie blieb sitzen. »Wo wir schon einmal beim Thema Schuld sind: Wie lebt es sich so als Mörderin?«
    Martha antwortete nicht.
    »Wo ist er jetzt eigentlich? Liegt er wirklich auf dem Urnenfriedhof in Münster, oder haben Sie ihn hier irgendwo vergraben? War bestimmt nicht einfach, so ein großes Loch auszuheben. Sein Grab dürfte um einiges größer sein als das Ihres Babys.«
    Martha saß mit einem Ruck gerade, sie starrte Viktoria an. »Was weißt du von dem Grab?«
    Viktoria zeigte nach draußen. »Dass es dort ist, unter dem Frauenmantel.«
    Martha stand auf und ging um den Tisch herum zu Viktoria. Es sah so aus, als wolle sie ihre Hände um deren Hals legen, doch sie hob sie nur kurz und verzweifelt an und kniete dann nieder. Sie umklammerte Viktorias Knie und schluchzte. »Es ist zu spät gekommen. Dieses kleine, süße Ding. Mit seinem Mündchen, das ihn anlächeln sollte, mit seinen Händchen, die er halten sollte. Es ist gekommen. Sein Kind. Es war alles da, alles dran. Die Nase, sogar ein paar blonde Haare, die aber erst noch rot waren von dem Blut. Ich habe es trocken gerieben, nicht mit Stroh wie bei den Kälbchen,
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