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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig
Autoren: Katrin Jäger
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hätte so gerne zugedrückt, so gerne. Jetzt werde ich dafür bestraft, dass ich den Bastard am Leben gelassen habe.«
    »Viktoria ist kein Bastard! Sie ist meine Tochter.« Bernhard wurde laut.
    »O ja. O ja. Wie gut ich das weiß. Jeden Tag, jede Nacht, jede Sekunde denke ich an nichts anderes.« Martha schrie jetzt auch. »Aber ich denke auch an die Kinder, die ich verloren habe. Die ich nicht bei mir halten konnte. Die deine Kinder waren. Du hast sie ja gleich vergessen.«
    »Das stimmt nicht. Aber sie sind nun einmal nicht da.«
    »Ja, weil ich nicht in der Lage bin, ein Baby auszutragen.«
    »Hör auf damit.« Bernhard griff wieder nach den Händen seiner Frau.
    »Womit soll ich aufhören? Zu trauern?«
    »Natürlich muss man trauern, wenn man etwas verloren hat. Aber diese Babys, die waren doch nie da. Die haben dich nie angelächelt.«
    »Aber dieser kleine Bastard, der lächelt dich an.«
    Bernhard sah Martha an. So hatte er sie noch nie angeschaut. So kalt, so entschlossen. Er drehte sich um und zog den Koffer aus der Ecke des Dachbodens heraus. Staub wirbelte auf, Martha sah die einzelnen Körnchen tanzen. Das durfte nicht passieren. Er konnte nicht weggehen. Sie hatte es drei Jahre lang ausgehalten, dass er sie betrog. Sie hatte es jetzt wieder ausgehalten, die Angst, dass sie das Baby verlor. Doch es lebte, man konnte sogar schon ihren kleinen Bauch sehen, doch keiner hatte es gemerkt. Sie hatte es versteckt, ihr Wunder, das nun doch heranwuchs. Und jetzt wollte er gehen.
    »Es wird alles gut werden«, sagte sie. Bernhard klopfte auf den Koffer, noch mehr Staub wirbelte auf.
    »Nein, Martha. Ich gehe. Ich will raus, ich will weg. Ich kann nicht mehr, ich will mich um mein Kind kümmern.«
    »Das kannst du auch hier tun.«
    »Was redest du?« Bernhard hielt den Koffer in seiner rechten Hand und wollte damit an Martha vorbei zur kleinen Dachluke. Sie stellte sich ihm in den Weg. »Fünfter Monat, hier, man kann es schon sehen.« Sie streichelte ihren Bauch. Bernhard schob sie zur Seite. »Unser Baby wird dich brauchen.« Sie versuchte ihn festzuhalten, doch er machte sich los. Bernhard drehte sich um, um die steile Ausklapptreppe hinabzusteigen, der Koffer stand am Rand des Abgangs. »Martha, das Baby braucht mich nicht. Es wird doch sowieso wieder nicht geboren.«
    Genau eine Sekunde, nachdem Bernhard Lütkehaus das gesagt hatte, schlug sein Hinterkopf auf die Kante der Eichenkommode im ersten Stock seines Hauses. Der Koffer stand noch auf dem Dachboden darüber. Martha schaute auf ihre zitternden Hände. Es war still.
    Tim Möcke war erleichtert. Seine Eltern waren endlich wieder da. Sie hatten dreimal geklingelt, das taten sie immer. Er auch. Es war wie ein Zeichen zwischen ihnen. Dreimal klingeln hieß »Hallihallo, wir sind’s« oder »Huhu, ich bin’s«. Er saß im Wohnzimmer auf dem großen Fernsehsessel. Mit Deutschland sucht den Superstar hatte er sich abgelenkt. Von der Lebensgefahr, die ihn bedrohte. Seine Zeugenaussage war eindeutig in die falschen Hände geraten. Wenn der Fotograf mit der Amokläuferin unter einer Decke steckte, wer weiß, was passieren würde, wenn sie den Zettel lasen. Immerhin war seine Zeugenaussage belastend für Elisabeth Upphoff. Denn so wie es aussah, waren die Gewehre doch geladen gewesen. Sie hätte in jener Nacht die Schützenbrüder niedermetzeln können – und jetzt konnte sie es mit ihm tun. Tim Möcke, der Junge, der zu viel wusste. Er hatte sich unter die Decke gekuschelt und wartete auf das Klackern des Schlosses. Doch es war still. Hatten sie etwa den Schlüssel vergessen?
    Vorsichtig schlich er zur Wohnzimmertür. Durch einen kleinen Spalt lugte er in den Flur, an dessen Ende die Haustür mit den Milchglasscheiben war. Er sah einen Schatten. Einen. Nicht zwei. Der Schatten bewegte sich, und plötzlich klopfte es.
    »Tim, bist du da? Ich habe was für dich, komm doch mal.«
    Die Angst verwandelte sich in Trotz. Pah, dachte Tim. Für wie doof hält die mich? Er hatte die Stimme von Elisabeth Upphoff erkannt. Und jetzt wollte sie ihn an die Tür locken, damit er sie hereinließ. Niemals!
    »Tim, hör zu!«
    Er wollte nicht, doch er hörte zu.
    »Ich weiß, was du da gesehen hast in dieser unglückseligen Nacht. Du bist ein toller Zeuge. Und ich bin dir so dankbar.«
    Dankbar, das verstand Tim nun doch wieder nicht. Immerhin hatte er etwas gesehen, was Elisabeths Tat sehr viel böser aussehen ließ, als es alle glaubten. Er rührte sich nicht.
    »Tim. Ich
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