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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig
Autoren: Katrin Jäger
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zu. »Ich weiß, was du für mich getan hast.«
    »Ich?«
    »Du hast die Munition genommen. Damals, ich meine, an diesem Abend, als ich durchgedreht bin. Du hast die Polizei getäuscht. Du hast dafür gesorgt, dass ich harmloser aussah, als ich es war.«
    »Und?« Ferdinand schaute seine Frau direkt an. »Bist du harmlos?«
    »Jetzt ja. Jetzt endlich wieder, ja.« Sie ging noch einen Schritt auf ihren Mann zu.
    Er wich zurück. »Du warst wieder bei den Waffen.«
    Sie nickte.
    »Und?« Er wollte streng klingen, klang aber ängstlich.
    »Nichts und.« Elisabeth gab Ferdinand einen fröhlichen Kuss auf den Mund und stupste ihn in den Bauch. »Es ist alles in Ordnung. Ich habe sie nur geputzt.« Ferdinand glaubte ihr nicht. Doch sie roch so gut und sein Kreuz tat auch gar nicht weh, als er sie auf seinen Armen nach nebenan ins Schlafzimmer trug.
    »Tim, Tim, Tiiiiiiim …« Tim Möckes Mutter Britta war langsam sauer. Wo hatte der Junge sich nur versteckt? Sie und ihr Mann waren nur kurz beim Schützenball gewesen, ein oder zwei Stunden, ein paar Tänze lang. Tim wollte diese Castingshow gucken und dann alleine ins Bett gehen. Doch dort lag er nicht. Der Fernseher war aus und nirgends war Licht.
    »Tim Möcke – du bist kein Osterei. Also komm raus!« Tims Vater klang noch fröhlich, er hatte vier Bier getrunken. Normalerweise klingelten sie immer dreimal und begrüßten sich dann gegenseitig. Doch dieses Mal blieb alles still. Sie schalteten das Licht im Flur, in der Küche, im Wohnzimmer und in seinem Schlafzimmer an.
    »Tim, komm raus!« Britta Möckes Stimme hallte die Kellertreppe herunter. Keine Antwort. Sie spürte ihren Puls am Hals. »Ich suche draußen!« Sie riss die Terrassentür auf und stolperte durch den Garten. Im Mondlicht erkannte sie die Umrisse des Spielhäuschens, in dem Tim nur noch selten spielte. Sie öffnete die Tür, sah den Holzfußboden, ein paar Poster an der Wand. Es raschelte. »Tim, verdammt. Wieso hast du dich hier …« Eine Katze strich um ihre Beine. Der Puls ihrer Halsschlagader klopfte einen Lambada-Rhythmus. Tim! Tim! Tim! Sie konnte nur noch den Namen denken. Sie rannte zurück ins Haus. O Gott, wo ist mein Junge? »Tim!«
    Marie Latell zuckte. Sie hatte gerade geträumt, dass sie an einer Steilküste stand und einen Schritt zu weit gegangen war, da sendete ihr Unterbewusstsein einen elektrischen Schlag an ihr rechtes Bein, dessen Muskeln sich reflexartig zusammenzogen. Zack, war sie wach. Doris Day sang nicht mehr, und es wurde langsam etwas kühl auf dem Fußboden. Mir ist schlecht, dachte sie. Ich bin aus Blei, dachte sie. Die Schuld hat mich wieder in ihren Krallen, dachte sie und schleppte sich ins Badezimmer. Sie ließ heißes Wasser in die Wanne laufen und tauchte ein. Die Sachen sind sortiert, Viktoria wird alles erfahren, und ich muss nie wieder lügen. Ein großer Zeh ragte aus dem Schaum hervor, und es schien, als zeigte er auf die Ablage am Wannenende. Dort stand ihr pinkfarbener Rasierer. Rosa und blutrot – welche Farbe ergibt das, dachte Marie Latell, als sie nach ihm griff.
    Tims Mutter hätte ihrem Mann am liebsten die Faust ins Gesicht gerammt. Er saß im Wohnzimmer und grinste sie an, als sie atemlos aus dem Garten gerannt kam. »Tim ist weg«, keuchte sie. »Kapierst du das nicht?!« Sie zitterte vor Wut.
    Ihr Mann sah sie unschuldig an. »Er ist doch hier.« Tims Vater saß auf dem Sofa und zeigte hinter die Lehne. Dort hockte sein Sohn auf dem Teppich und hatte Kopfhörer auf den Ohren. Er war im Sitzen eingeschlafen, der Volumenregler war fast bis zum Anschlag aufgedreht, und als seine Mutter ganz vorsichtig die Kopfhörer abnahm, hörte sie eine Männerstimme singen: »Guten Morgen, Berlin, du kannst so schön hässlich sein.«
    Sie trug ihren großen Jungen nach oben, ihr Puls klopfte jetzt im gemütlichen Wiener-Walzer-Takt. Tims Vater stellte den CD-Player aus, den Fernseher an und hob eine kleine Plastikhülle vom Fußboden auf. Peter Fox stand darauf.
    Auf den Dielen bildete sich eine hässliche Pfütze. Nicht rosa, nicht rot – sie war einfach nur nass. Marie Latell stand splitternackt in ihrem Wohnzimmer und zitterte. Sie griff mit feuchten Händen nach dem Handy und tippte Michaels Nummer ein. »Hey, Psychologe, kannst du mich therapieren kommen?« Marie wollte verrucht klingen, doch sie klang verzweifelt.
    »Sofort?«
    Sie nickte, ohne etwas zu sagen.
    Michael verstand auch so. »Bin gleich da.«
    »Bin nackt.«
    »Na, umso besser.«
    Beide
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