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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume
Autoren: F Kanzler
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dunkler aus als sonst. Dein gleichmäßiger Atem und dein gelegentliches Schnarchen wechseln sich ab. Ich schiebe meine Hand aus der Decke und lasse sie hinunter auf die andere Matratzenebene.
    Durch die Öffnung in meinem Hitzekokon dringt kühlere Luft. Mir laufen Schauer über den ganzen Körper. Wo mir vor Sekunden noch heiß war, ist mir nun kalt, bibberkalt. Zwischentemperaturen gibt es nicht mehr.
    Du liegst auf der Seite. Öffnest die Augen, als hättest du nur auf meine Berührung gewartet. Sie forschen mich inwendig aus, im Halbmondlicht, kein bisschen Schlaftrunkenheit ist in ihnen.
    »Ich hab das Gefühl, dass die Welt ständig zusammenbricht«, murmle ich.
    »Das ist nicht nur ein Gefühl«, sagst du und gräbst dein Kinn etwas tiefer in die Kissen.
    Deine plötzliche und restlose Zustimmung macht mich sprachlos. Nimmt mir alle Angst aus den Segeln. Mitten in meinen Weltuntergang hinein streckt sich eine Hand nach mir aus. Da ist jemand. Ein Mituntergeher im Halbmondlicht. Ich schlafe ein, binnen Sekunden, wie du mir später berichtest, die Finger noch um deine geschlungen.
    Am nächsten Tag kommt das Halsweh. Ein metallisch glühendes Halsweh, das nicht nur beim Schlucken wehtut. Wie eine Speerspitze, die sich quer in meiner Kehle verkantet hat, kann ich es weder hinunterschlucken noch ausspucken. Die folgende Nacht überstehe ich nur, indem ich den Schmerz in kleine Würfel aufbreche und sie im Raum verteile. Ich hänge sie über die Betten, um die Deckenlampe herum und in die Dachgaube. Ein großes Schmerzmobile, in dem alle Würfel freischwebend sind, so dass sie nichts berühren, so dass ich ihr Brennen möglichst wenig spüren muss. Sie hängen da, als hätte ich meinen ganzen Körper in kleine Würfel geschnitten, mich selbst in der Luft verteilt. Den Schmerz so verdünnt, gelingt mir sogar das Einschlafen. Im Fieber funktionieren solche Tricks.
    Meine Temperatur klettert so hoch, dass jetzt auch die verklebten Gedankenbüschel wegschmelzen. Sie verdunsten vom festen Zustand direkt in die Luft. Übrig bleibt ein leichtflüchtiges Geflimmer, Lichtmalereien, ein filmrissiges Fieberkino. Ich sehe Wiesen, auf denen statt Gras dein Rabenhaar wächst, sehe grüngefleckte Eidechsen und Blaum als apokalyptischen Reiter. Sehe Saskia und Lora in Gartenzwergkostümen und eine Menge einstürzender Gebäude. Selbst der Schmerz tritt irgendwann hinter dem bunten Hitzegeflimmer zurück. Die Götter schwenken ihre Starklichtfackeln. Nur selten wird es dunkel im Kopf.
    Noch einen Tag später, du musst zurück in die Stadt, jemand muss Mattis alten Toyota zurückholen. Meine Großmutter bringt mir diverse Apothekenwaren und Suppe ans Bett. Ich heuchle ein wenig Interesse an diesen Dingen und falle zurück in den Halbschlaf. Ich denke nicht an Borg, nicht an den Bassmann, nicht an den Auftritt, der morgen ausfällt. Die Welt ist auf die weißen Tapetenlilien, das Wandern der Wolken im Fenster und die Wasserflasche neben dem Bett zusammengeschnurrt.
    Manchmal richte ich mich auf und taumle ins Bad. Ich bin eine leblose Puppe. Wenn ich vorm Spiegel stehe, mit wirrem Wollhaar und ungeschminkten Knopfaugen, frage ich mich, wo das übermütige Oasenmädchen geblieben ist, das farbenfrohe Überquellkind, das sich in Brokatstoff, Seidensatin und Stickereien hüllt. Geblieben ist nur ein schlichtes, ungefärbtes Baumwollding. Von meiner Stimme ist auch nicht viel übrig, ein elendes Gefistel. Mein Gesicht ist blass trotz heißer Stirn. Nur die Farben meiner Iris leuchten weiter ihre Schillertöne in die Welt hinaus. Gewittergrün, Kieselgrün, über diese Augen könnten Mythen entstehen, denke ich, halb delirant und mit fiebersensibler Haut die kalten Badfliesen abtastend, Moorgrün, Schlammgrün, denke ich, kastanienrote Einsprengsel, Farngrün auf lehmigem Boden.
    Zur Unterhaltung falte ich Figuren aus Bettwäschestoff. Ich öffne das Fenster und halte meine Nase in den Wind. Ich schaue Nachrichten mit meiner Großmutter. Menschen protestieren. Autos brennen. In mehreren Großstädten gehen Bomben hoch. Ich taumle zurück ins Bett. Warum Schnellstraßen und Banken, Juweliergeschäfte und Yachten in die Luft fliegen, weiß ich nicht. Mit meinen Oasenaugen hat es nichts zu tun. Auch nicht mit deiner nassen Haut, mit deinen wackelnden Zehen. Du liegst in der Badewanne. Aus deinem Mund fließt Tinte. Lass mich lecken, denke ich. Lass mich die ozeanblaue Zunge sein. Der Schrei einer Möwe wird mich retten. Ich höre die
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