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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume
Autoren: F Kanzler
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Erwähnung deines Perserkätzchens nicht diese innere Panik aus. Da ist nur stilles Registrieren. Meine Augen verfolgen den Bisam, mit seinem nassen Rattenfell, den robusten Schnurrhaaren, seinen quirligen Glitschbewegungen am Ufer entlang. Ich möchte zu ihm ins Wasser gleiten, pudelwohl, und mitglitschen.
    Gegen halb fünf biegen wir wieder in den Sonnwendweg ein. Ein Schwarm Sperlinge räubert die letzten Samen aus den Vorgärten. Das flach einfallende Herbstlicht flirrt über den Lack eines schief geparkten Coupés. Ohne die blitzende Reflexion hätte ich den Wagen wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, den dunklen Lack, die ledernen Sitze. Aber das Gleißen rammt sich wie ein heißer Sporn in meine Brust. Das glänzende Blech vorm Haus meiner Großmutter, ich kenne den Anthrazitlack, ich kenne die Nummer, das ist Blaums Wagen.
    Meine Hand wandert an deinen Ärmel. Fieberhaft tasten meine Augen das Innere der Karosse ab. Niemand sitzt darin. Deine Augen folgen meinen. Verständnislos. Was denn los sei. In knappen Worten kläre ich dich auf. Ich habe keine Ahnung, wieso Blaum hier ist, woher er überhaupt die Adresse meiner Großmutter hat. Eine deiner Augenbrauen rührt sich, ein Rabenflügel, mitten im Schlag eingefroren.
    Ein Hund trabt mit einem Tennisball im Maul über die Straße. Eine Sippe Enten flappt schwerfällig über unsere Köpfe. Dass Blaum irgendwo in den Büschen hockt und uns beobachtet, kann ich mir nicht vorstellen. Dass er bei meiner Großmutter sitzt, noch weniger. Weil alle Spekulationen nichts helfen, greife ich nach meinen Schlüsseln. Wir werden reingehen.
    Im Flur schon rieche ich Blaums Aftershave. Wir hängen unsere Mäntel an die Garderobe, wo bereits eine von Blaums marineblauen Wochenendjacken baumelt. Ich glaube zu träumen. Spitze die Ohren. Meine Nackenhaare stellen sich auf wie bei großer Kälte. Ich höre die vergnügte Stimme meiner Großmutter. Ich tappe ins Wohnzimmer.
    »Du hast Besuch«, meldet die alte Dame.
    Blaum nickt erst mir und dann dir vielsagend zu. Er sitzt über einem Glas Holunderlimonade und einer unberührten Scheibe Früchtebrot.
    »Der nette junge Mann hier hat sich Sorgen um dich gemacht.«
    »Da ging es ihm ja ähnlich wie mir.«
    Zu meiner Überraschung machst du einen Schritt auf Blaum zu und hältst ihm die Hand hin. Er nimmt sie, Könnerhändedruck. Die beiden Hände so ineinander zu sehen, Blaums blonder Männerflaum, deine sehnige Räuberhand, versetzt mich in helle Aufregung, Begeisterung. Ich will mich hinbeugen und diesen Handknoten beschnüffeln. Will meine Wange daran schmiegen. Ich will eine Silbermünze sein, in der Kuhle zwischen euren Händen gefangen, will den Besitzer wechseln, hin und her und zurück.
    »Ich hab dem Herrn bereits berichtet, dass du kerngesund bist.«
    Ein Satz weicher Großmutterfinger an meiner Schulter unterbricht meine Fantasien.
    »Hast du niemandem gesagt, wo du hingehst?«
    »Na ja. Zwei oder drei wussten es schon. Borg. Matti.«
    »Sonst hätte ich sie ja nicht gefunden«, fügt Blaum hilfsbereit hinzu.
    »Derselbe Sturkopf wie als Kind«, sagt meine Großmutter.
    Mit spitzen Fingern fasst sie ihr Limonadeglas, nennt mich Lausmädchen, Zuckerschnecke, während sie Kindheitsgeschichten über mich zu erzählen beginnt. Selbstgezimmerte Holzschwerter, zerdepperte Frühbeete, aus dem Boden gezogene Karotten, ich sitze auf ihren fliegenden Teppichen, und meine Großmutter breitet die Geschichten über meinen Kopf hinweg aus, als wäre ich gar nicht im Raum. Als wären sie irgendwelche Märchen, wichtige Nachrichten, Allgemeingut. Ein belustigter Rabenblick hüpft über den Wohnzimmertisch, du amüsierst dich über meine Großmutter und darüber, wie ich mich unter ihren Verniedlichungen winde.
    Blaum lauscht, weit offene Meeraugen, den Mund zu einer Seemannsschnute verzogen. Er muss als kleiner Junge einer der niedlichen Blondschöpfe gewesen sein, denke ich, die man auch für Mädchen halten könnte. Sein heutiger Stiernacken täuscht darüber hinweg, aber seine feine Nase und die glatte Haut verraten es. Blaum muss gewusst haben, dass du hier bist. Von Borg oder von Matti. Er kam trotzdem. Eine Quelle, warm und prickelnd wie Frühjahrssonne, steigt in meiner Wirbelsäule auf. Ihre Heißgewässer sprudeln hinter meinen Schläfen durch. Lassen meine Sicht verschwimmen. Ich will aufspringen und auf Zehenspitzen trippeln. Will den Orchideendschungel einatmen. Will mit einer Hand dich und mit der anderen Blaums blonde
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