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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume
Autoren: F Kanzler
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Pfote packen, mit euch in den Garten stürmen.
    Um wenigstens einen kleinen Teil der aufquellenden Energien loszuwerden, gehe ich Kaffee kochen. Durch die geöffnete Küchentür höre ich weiter den Gesprächen zu. Du und Blaum tauscht euch über eure Berufe aus, ein raues, aber friedliches Hin und Her von Worten, wie Klassenkameraden, die sich zehn Jahre lang nicht gesehen haben und jetzt ein wenig angeben wollen. Meine Großmutter stellt neugierige Fragen.
    »Mein Enkelchen sollte öfter bei mir Ferien machen«, höre ich sie sagen.
    Mit fliegenden Fingern fülle ich den Wasserbehälter. Falte einen Papierfilter. Schütte Kaffeepulver hinein und daneben. Später trage ich alles auf einem großen Tablett hinüber. Um die Tassen anzurichten, knie ich vor euch auf den Orientteppichen, die Kaffeesklavin, will am liebsten eure Hände küssen. Milch, Zucker, ich weiß genau, wie jeder seinen Kaffee haben will, Großmutter, du und Blaum. Beim Einschenken spritzt mir ein Tropfen Milch ins Auge. Ich rühre, blinzle und bleibe auf den Knien.

Endzeitstille
    Erst spricht eine bürstenraue Männerstimme. Dann meldet sich ein besorgter Mezzosopran zu Wort. Ich verfolge die Sendung nur mit halbem Ohr. Sie jonglieren mit Begriffen wie Abschwung, Aufruhr und Zusammenbruch. Wie immer, wenn jemand den Untergang des Abendlandes prophezeit, steigen Bilder in mir auf, und mein persönlicher kleiner Endzeitfilm läuft ab.
    In diesem Film besitze ich ein Sortiment Gewehre und mache das Haus meiner Großmutter zu meinem Hauptquartier. Wer überleben will, meidet die Großstadt, dort herrscht Krieg, und die Mieten in den sichereren Vierteln kann sich ohnehin keiner mehr leisten. Hier draußen hingegen wachsen Karotten, Kürbisse, Äpfel und Kirschen im Garten, einige Schuppen und Gewächshäuser gibt es auch. Erbsen und Gurken und anderes Grünzeug, essbar oder nicht, wuchern bis über die Zäune. In diesem Film steht ein Klavier im Haus und jede Menge Betten, auch in den Gartenhütten sind welche verteilt, so dass ich schlafen kann, wo immer ich will. Ich muss nur umfallen. Eine Handvoll einsamer Wölfe hat sich um mich geschart, ein Häufchen Überlebenskünstler, Übriggebliebener. Ich lasse sie in meinem Haus wohnen, sie arbeiten im Garten, kochen, beschützen mich, ein paar lieben mich auch. Das Nötigste rauben und sammeln wir zusammen oder bauen es selbst. Blaum ist da, reinigt Waffen, Saskia repariert zerbrochenen Hausrat, du und andere. Wir leben. Haben Zeit. Dass die Welt zusammenbricht, hat endlich jeder begriffen.
    Eigentlich mag ich diesen Film. Ich sehne mich nach dem verwilderten Garten, nach den staubigen Fußböden, nach dem Kreuzundquerschlafen in verschiedenen Betten. Wenn jemand den Untergang des Abendlandes prophezeit, wünschte ich fast, der große Erdrutsch käme endlich.
    Ich stelle das Radiogerät aus. Ich muss die Stille des Hauses hören, muss hören, ob sie eine Endzeitstille sein könnte. Blaum ist gestern Nacht gefahren. Du bist einkaufen gegangen. Meine Großmutter ist für einen Krankenbesuch unterwegs. Ich schalte das Gerät wieder ein.
    Meine Großmutter hatte für uns alle gekocht, Pilzragout und Kartoffelbrei, hatte dich in den Keller geschickt, um Wein zu holen. Nachdem sie ins Bett gegangen war, leertest du mit Blaum die Flasche. Ich saß zwischen euren hemdverpackten Schultern und sog die Mischung eurer Gerüche ein. Am liebsten hätte ich nach links und nach rechts ausgekrallt, mir die beiden Köpfe zugewandt, den Atem zweier aufgebrachter Warmblüter im Nacken gefühlt, euch in ein wildes Spiel verwickelt, zwei pochende Herzen, zwei zuckende Schwänze in mir versenkt. Zum Abschied verpasste Blaum dir einen brüsken Schulterschlag. Mich hob er vom Boden wie ein Kind.
    Ich reiße ein Streichholz nach dem anderen an. Entzünde ein Teelicht und blase es wieder aus. Auf dem Tisch steht noch die halbgefüllte Wasserkaraffe von gestern Abend. Daneben liegt ein Apfel, den nehme ich in die Hand. Es ist ungewöhnlich hell im Raum. Erst jetzt fällt mir auf, dass meine Großmutter den Orchideenwald abgeräumt hat. Vermutlich steht er in der Badewanne, denke ich, und nimmt ein Wurzelbad. Der gelbe Fensterbankmarmor ist sonnenwarm, lädt zum Sitzen ein. Ich strecke die Beine aus, der Sims ist länger als ich.

Apfelkerngeschmack
    Ich esse Äpfel immer mitsamt dem Kernhaus, fresse mich durch das harte weiße Fleisch, dann durch das kleine Gewölbe im Inneren und wieder ins weiße Fleisch hinein. Meine Zähne
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